Bereits im Sommer begann ich mit der Lektüre von „The Drawing of the Three“, doch erst jetzt habe ich den (verhältnismäßig schmalen) zweiten Band der Dark-Tower-Reihe beendet. Grund für diese lange Lesephase war das erste Drittel des Buches, durch das ich mich immer wieder hindurchkämpfte. Dabei fängt die Fortsetzung von Rolands Geschichte eigentlich extrem packend an: Sie knüpft wenige Stunden nach dem Ende des ersten Bandes an und wirft Roland direkt in einen Überlebenskampf. Allein an einem schier endlosen, kargen Strand sieht sich der Revolvermann einer Schar überdimensionaler, hummerartiger Kreaturen („Lobstrosities“) gegenüber, die ihn angreifen und dabei so schlimm verwunden, dass er während des ganzen Romans um sein Leben bangen muss. Schwer verletzt stößt Roland auf die erste von drei schicksalhaften Türen – Türen, die ihm den Übergang zu „unserer“ Welt, genauer gesagt nach New York, ermöglichen und hinter denen Roland stets jemandem begegnet, der für seinen Weg zum Dunklen Turm von Bedeutung sein wird.

Die erste Tür führt Roland und uns ins Leben des Heroin-Abhängigen Eddie Dean. Wir begleiten Eddie beim Drogenschmuggel und finden uns schließlich in einer Schießerei mit einem der größten Drogenbosse New Yorks wieder. Während dieser Zeit gab es immer wieder einzelne Momente, die mich zu packen vermochten. Insgesamt betrachtet empfand ich diesen Einstieg aber als unnötig in die Länge gezogen und er hielt für mich zu wenig Überraschendes, Unerwartetes bereit. Dass mich Geschichten aus der Dealerszene grundsätzlich noch nie faszinieren konnten, erschwerte mir den Zugang zu dieser Passage von „The Drawing of the Three“ zusätzlich. Entsprechend gelang es mir nie, mehr als zehn, zwanzig Seiten am Stück zu lesen; immer wieder legte ich das Buch zur Seite und als schließlich die Leserunde zu „ES“ begann, bot sich mir die Gelegenheit, die Reise zum Dunklen Turm für eine Weile zu unterbrechen. Diese Pause tat, im Nachhinein betrachtet, gut und half mir, nach mehreren Monaten mit neuer Energie und Motivation in Rolands und Eddies Geschichte zurückzukehren. Tatsächlich wurde Eddie im weiteren Verlauf des Buches sogar zu einem Lieblingscharakter. Er macht eine so erstaunliche Weiterentwicklung durch, wächst regelrecht über sich hinaus und entwickelt eine beeindruckende innere wie äußere Stärke. Dabei ist er gleichzeitig innerlich zerrissen, entwickelt eine Art Hass-Liebe gegenüber Roland – wissend, dass er für Roland nur ein Mittel zum Zweck ist, beide aber bereit sind, füreinander über Leichen zu gehen.

Richtig gepackt hat mich King dann mit der Einführung der zweiten Tür und der Figur der Odetta Holmes. Als Afro-Amerikanerin im New York der frühen ‘60er hat die junge Frau es so oder so nicht leicht. Dass ihr Vater es zu Wohlstand schaffte und Odetta einen eigenen Chauffeur hat, sorgt für weiteren Unmut unter der weißen Bevölkerung. Zwei Unfälle im Laufe ihres Lebens hatten zudem zur Folge, dass Odetta ihre Beine verlor und sich eine dissoziative Identitätsstörung entwickelte (im Buch fälschlicherweise immer als Schizophrenie bezeichnet). Odettas „anderes Ich“ nennt sich Detta Walker und ist das extreme Gegenteil von Odetta. Während Odetta ein feinfühliger, ruhiger, höflicher und politisch engagierter Mensch ist, ist Detta laut, aggressiv, vulgär, kriminell und skrupellos. Zurück in Rolands Welt wird Detta daher schnell zu einer zusätzlichen Bedrohung für den schwerkranken Revolvermann und den zunehmend an seine Grenzen kommenden Eddie. Detta, die Lobstrosities, Rolands entzündende Wunden, der scheinbar nie endende Strand, der Mangel an sauberem Trinkwasser und Nahrung machen den Weg zur dritten Tür zu einer körperlichen und nervlichen Zerreißprobe und ließen mich die letzten zweihundert Seiten mit fast nervöser Spannung verfolgen. Plötzlich fand ich mich verloren in Rolands Welt wieder und konnte „The Drawing of the Three“ kaum zur Seite legen.

So hatte auch der zweite Band der Dark-Tower-Reihe auf mich den irritierenden, aber interessanten Effekt, dass er mich einerseits viel Kraft kostete, andererseits aber auch faszinierte. Im Gegensatz zu „The Gunslinger“ kommt „The Drawing of the Three“ aber etwas ruhiger, „aufgeräumter“ daher – es werden nicht mehr ständig neue Fragen aufgeworfen, die unbeantwortet bleiben, die Ereignisse und Charaktere haben mehr Raum sich zu entfalten und auf mich als Leserin zu wirken. Auch sprachlich entspricht der zweite Dark-Tower-Band stärker dem, was wir von Stephen King gewohnt sind, was letztlich auch der Geschichte zugutekommt. King hat inzwischen seine Stimme gefunden und die Handlung rund um den Dunklen Turm scheint nun fokussierter verfolgt zu werden – diese Entwicklung über nur zwei Bücher zu erleben, fand ich besonders interessant und es macht zuversichtlich hinsichtlich der Ausrichtungen der Folgebände.

„[…] You´ll go on, won´t you?”

“Yes.”

“To the very end.”

“Yes. To the very end.”

“No matter what.”[1]

[1] Stephen King: „The Drawing of the Three“ (The Dark Tower 2), Scribner 2016, S. 456


 

Weitere Eindrücke zur Dark-Tower-Reihe:

Mehr Informationen zum Projekt Dark Tower sowie weitere Beiträge rund um die Reihe findet ihr auf Lesen macht glücklich.