Inhaltswarnungen / Content Notes
Das Buch thematisiert:
- Depression
- Burnout
Synchronsprecherin Frieda verbringt den Winter allein in Portugal, wo sie auf ein über den Jahreswechsel geschlossenes Hotel aufpasst. Das weckt – bei mir als Leserin – und in Friedas Umfeld direkt Erinnerungen an Stephen Kings „The Shining“. Mehr Parallelen gibt es aber nicht und beide Romane könnten unterschiedlicher kaum sein.
„Hotel Paraíso“ von Arezu Weitholz ist vorrangig Introspektion mit Fragen zu Herkunft, Familie, Zugehörigkeit und Identität. Mit Hund Otto als einziger Gesellschaft hat Frieda viel Zeit, um über sich und ihr Leben nachzudenken: über ihre Arbeit, ihre Beziehung, ihre Kindheit, ihre Familie und die Gefühle, anders zu sein und nicht dazuzugehören.
„Das ist der Vorteil des Alleinseins: Man wird beim Denken nicht gestört. Obwohl, wenn ich darüber nachdenke, ist es der Nachteil des Alleinseins: Man wird beim Denken nicht gestört.“ (S. 19)
Leider bleibt all das sehr oberflächlich und vage. Friedas Monolog springt – vor allem in der ersten Romanhälfte – wild von einem Thema zum nächsten. Das erinnert manchmal an Stream of consciousness, ist dafür aber nicht konsequent genug durchgezogen. Wir Lesenden müssen viel zwischen den Zeilen lesen, uns vieles selbst ausdenken und zusammenpuzzeln. Das meiste wird nur angedeutet. Dabei hätte ich gerade über Friedas Kindheit und Familie gerne mehr erfahren – hier schlummerte viel Potenzial, das nicht ausgeschöpft wurde. Denn Arezu Weitholz packt viele Themen in Friedas Monolog, lässt diese Fäden aber schnell wieder fallen und greift sie entweder gar nicht mehr oder erst sehr viel später für einen Bruchteil erneut auf. Das wirkt unfertig, skizzenhaft und gab mir oft das Gefühl, keinen Roman, sondern nur die Notizen für einen Roman zu lesen. Mag sein, dass dies so gewollt war – als Spiegel für Friedas Unruhe, Erschöpfung und Orientierungslosigkeit. Doch wirkt es dafür zu willkürlich.
Hinzu kommt, dass Frieda keine sympathische Figur ist. Sie geht unglaublich hart mit sich selbst und anderen Menschen ins Gericht. Es wirkt, als hasse sie Menschen per se. Ich bin selbst kein Fan von Menschen, aber im Fall von Frieda scheint es, als gebe es keinen einzigen Menschen, den sie wertschätzt oder mag. Selbst über ihren Partner Jonas spricht sie immer wieder sehr negativ, zeigt sich undankbar für alles, was er für sie tut, und an keiner Stelle hatte ich den Eindruck, dass sie auch nur den Hauch von Liebe für ihn empfindet.
Auch, wie unsensibel und verharmlosend Arezu Weitholz ihre Protagonistin über Depressionen und Burnout sprechen lässt, fiel mir wiederholt negativ auf. Katastrophal fand ich dabei die Gleichsetzung von Depression mit Monotonie: „Wer eine Depression hat, spricht ebenfalls auf einem Ton. Deswegen heißt es ja auch so. Monotonie.“ (S. 81)
Was mich am Roman jedoch am meisten störte, ist seine Handlungs- und Ziellosigkeit. Auf den letzten Seiten deutet sich zwar so etwas wie der Beginn einer Entwicklung an, bis dahin treten wir allerdings mit Frieda auf der Stelle, drehen uns im Kreis, verlieren uns in zu nichts führenden Gedanken. So gleichen die rund 170 Seiten eher einem langen Buchbeginn und enden an dem Punkt, an dem die eigentliche Geschichte losgehen könnte. Es gibt keinen Erkenntnisgewinn, keinen roten Faden und bis kurz vor Schluss keine Weiterentwicklung. Das machte die Lektüre für mich zäh, sinnbefreit und zu vergeudeter Lesezeit.
Es hätte dem Buch also definitiv gutgetan, hätte sich Arezu Weitholz mehr auf den Inhalt und auf eine Botschaft konzentriert als auf künstlich aufgeblähte Wortkreationen wie „muckslos“ (S. 78) oder „rosahimmelblaupastellsilbern“ (S. 79) und unauthentische, pseudo-intellektuelle Sätze wie: „Der Kopf müsste Easy-Gitarren-Folk-Pop-Interludes spielen können, wenn man etwas Profundes denkt. Man müsste etwas Profundes denken.“ (S. 77)
Fazit:
„Hotel Paraíso“ mangelt es an allem, was ein gutes Buch ausmacht: Handlung, Tiefgang, Botschaft, Nahbarkeit, Zusammenhänge, einem roten Faden und einer natürlichen, authentischen Sprache. Dabei hätten die gestreiften Themen viel Potenzial geboten, aus diesem Roman ein wichtiges, berührendes Buch zu machen.
Arezu Weitholz: „Hotel Paraíso“, mareverlag 2024, ISBN: 978-3-86648-744-4
Geplauder