Daphne du Mauriers Roman „Rebecca“ hat in mir sehr extreme Empfindungen ausgelöst. Da war einerseits die Begeisterung über den sprachlichen Stil, andererseits Enttäuschung darüber, dass die Geschichte weniger schaurig war als erwartet (zumindest nicht im eigentlichen Sinne des Wortes), sowie viel Frust über die Darstellung von Frauen und Beziehungen.

„Rebecca“ wird gerne der Schauerliteratur zugeschrieben und nach allem, was ich vor der Lektüre über die Handlung wusste, erwartete ich auch viel Suspense: Eine junge, namenlose und unscheinbar wirkende Protagonistin heiratet den reichen, verwitweten Maxim de Winter und wird auf dessen Anwesen von dem über allem schwebenden Geist der von Maxims erster Frau Rebecca verfolgt, während gleichzeitig die Hausangestellte Mrs Danvers kalt und furchteinflößend agiert. Das fasst den Roman an sich zwar ganz gut zusammen, aber so omnipräsent und beängstigend ist Mrs Danvers auch nicht und Rebeccas Schatten rührt vor allem daher, dass sich alle gern an sie erinnern und sich unsere Protagonisten permanent mit ihrer Vorgängerin vergleicht und sich den Erwartungen anderer nicht gewachsen fühlt. Überhaupt ist unsere Protagonistin äußerst unsicher, macht sich selbst klein oder lässt sich von anderen klein machen. Selbst ihr frisch angetrauter Maxim behandelt sie eher wie ein Kind und nicht wie seine Frau, gibt ihr degradierende Namen, zeigt keinerlei Zuneigung und macht den wohl furchtbarsten Heiratsantrag, von dem ich je gelesen oder gehört habe.

Unsere Protagonisten stört all das nicht. Sie ist vor Liebe zu Maxim und Angst vor Rebecca und Mrs Danvers regelrecht blind. Selbst, als sie Maxims großes, düsteres Geheimnis erfährt, kreisen ihre Gedanken nur darum, ob Maxim sie liebt und was er für Rebecca empfand.

Ein wirkliches Selbst hat unsere Protagonistin ist – vielleicht bleibt sie deshalb durchweg namenlos. Ihr ganzes Leben ist immer nur fremdbestimmt: nach dem Tod ihrer Eltern ist sie vollkommen mittellos und abhängig von ihrer Anstellung als Gesellschafterin bei der oberflächlichen Klatschbase Mrs Van Hopper. Dieser entkommt sie durch die überstürzte Heirat mit dem reichen Maxim de Winter, nachdem beide ein paar gemeinsame Tage in Monte Carlo verbrachten. Was sie selbst wirklich will, weiß unsere Protagonistin eigentlich nie so recht. Sie träumt davon, älter zu sein; glaubt daran, dass das Leben automatisch sorgenfrei und wunderbar ist, wenn sie nur Anfang 30 wäre. Sie malt sich romantische Momente aus, die nicht eintreffen, stellt sich ihre Ankunft in Manderley vor und wie sie dort regelmäßig Gäste empfangen wird – flüchtet aber und versteckt sich, sobald sich Besuch ankündigt oder sie Menschen treffen muss, die sie noch nicht kennt.

Aber das, was uns vier Lesende (zu Miss Booleana und mir gesellten sich noch Jana von Wissenstagebuch und Matthias hinzu) immer wieder aufs Neue entsetzte, war das beunruhigende Verhältnis, das die Protagonistin sich für sich und Maxim wünscht: Nie sprach sie von sich und ihm als Liebende, sondern immer nur von Maxim als Vater, Bruder und Sohn bzw. von sich als Mutter.

Überhaupt ist das Frauenbild, das Daphne du Maurier in „Rebecca“ zeichnet, durchweg problematisch. Neben der blassen, sich leicht einschüchternden und von anderen durchweg abhängigen Protagonistin treffen wir auf Frauen, die sich nur für Tratsch und Status interessieren. Wir haben Maxims Schwester Beatrice, die sehr direkt ist und mit den Oberflächlichkeiten ihres Standes nichts anfangen kann, aber immer wieder deutlich als eine Art Tomboy beschrieben wird und mit negativ konnotierten Adjektiven beschrieben wird. Die Hausangestellte Mrs Danvers ist regelrecht verrückt nach der verstorbenen Rebecca und wird als kaltherzig und gruselig porträtiert. Und die verstorbene Rebecca? Die ist eine nach außen schillernde, von allen geliebte Persönlichkeit, die aber von den engsten Vertrauten als egoistisch, berechnend und lieblos dargestellt wird. Ach ja: Promiskuität bei Frauen ist in „Rebecca“ auch direkt mit List und Lügen verknüpft und natürlich musst du als Frau die perfekte Mutter, Gattin, Hausherrin, Nachbarin und Gastgeberin sein.

Natürlich könnte man dies als Kritik du Mauriers an den vorherrschenden Frauenbildern deuten und aus heutiger, aufgeklärter Perspektive lässt sich vortrefflich über dieses Sittengemälde aufregen. Aber ich bezweifle, dass Frauen und Männer den Roman nach seinem Erscheinen tatsächlich so gelesen haben. Und ich kann mir ebenso wenig vorstellen, dass Daphne du Maurier den Roman mit dieser Absicht schrieb – einerseits, weil die namenlose Protagonistin Ähnlichkeiten zur Autorin aufweist, andererseits weil im Laufe des Romans an keiner Stelle Kritik an der vorherrschenden Rolle der Frau geäußert wird, es zu keiner wirklichen Emanzipation kommt.

Diese Aspekte haben mir das Lesen des Romans sehr verleidet und dessen Stärken immer wieder überschattet. Aber natürlich hat „Rebecca“ auch Facetten, die mich den Roman phasenweise spannend werden ließen. Nach einem locker-leichten Beginn und einem sich eher mühselig dahinschleppenden Mittelteil nahm die Handlung im letzten Drittel gut an Fahrt auf. Ein Ereignis folgte dem nächsten und die Geschichte entwickelte sich zu einem Rätsel darüber, wem man glauben kann, wessen Wahrnehmung korrekt ist, wer worin involviert ist und wer wirklich Opfer und Täter sind. Verstörend dabei ist jedoch, dass das Verhalten einer Frau, ihr Umgang mit Männern über den gesamten Roman hindurch stärker kritisiert und als herzloser dargestellt wird, als der Gewaltakt eines Mannes, der für diese Tat auch nie bestraft wird, sondern von allen gedeckt und beschützt wird. Das macht den Roman zu einer perfekten Diskussionsgrundlage über Moral und darüber, wer welche Privilegien genießt.

Als größte Stärke des Romans habe ich aber Daphne du Mauriers sprachlichen Stil empfunden. Zu Beginn, insbesondere bei den Beschreibungen Manderleys, findet sie sehr poetische, malerische Worte. Ihre Sätze haben eine ganz eigene Melodie und bauen eine dichte Atmosphäre auf. Im mittleren Teil des Buches ließ das leider deutlich nach – hier war die deutsche Übersetzung von Brigitte Heinrich und Christel Dormagen tatsächlich viel eindringlicher und ausdrucksstärker als das Original. Im letzten Drittel fand du Maurier dann aber wieder klangvollere Worte, deren Härte oder Weiche sehr genau die Intention der jeweiligen Aussage unterstrichen. Daher wird „Rebecca“ trotz des Frustes über das Frauenbild nicht meine letzte Geschichte von du Maurier gewesen sein.

Fazit:

„Rebecca“ ist ein Roman, über den man hervorragend diskutieren kann, der wütend macht (ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt, sei dahingestellt) und für viel Gesprächsstoff in unserer kleinen Leserunde sorgte. Kann ich den Roman weiterempfehlen? Nur, wenn ihr eine Geschichte sucht, über dir ihr euch aufregen wollt. Wer unterhalten werden möchte oder Lust auf Suspense hat, findet jedoch bessere Titel.

Daphne du Maurier: „Rebecca“, Virago Modern Classics 2015, ISBN: 978-0-349-00657-4

 Daphne du Maurier: „Rebecca“, aus dem Englischen von Brigitte Heinrich und Christel Dormagen, Insel Verlag 2019, ISBN: 978-3-458-36134-3


Weitere Beiträge zur Leserunde:

Alle Eindrücke und Unterhaltungen zu „Rebecca“ könnt ihr auf Twitter via #VisitingManderley nachlesen.