Cozy. Spooky. Wow! – Erster Zwischenbericht zu „IT“
Ein bisschen habe ich ja ein schlechtes Gewissen: Nahezu jeder in der Leserunde hat Kings Horrorklassiker bereits beendet oder steckt in einem der letzten beiden Teile. Und ich? Ich stecke wortwörtlich mittendrin, habe erst vor wenigen Tagen den zweiten Teil beendet. Aber, hach, dieses Buch ist einfach so extrem gut, dass ich endlos darin verschwinden könnte – und genau deswegen möchte ich, dass die Lektüre nicht so schnell endet. Also genieße ich ausgiebig.
Unmittelbar nach den ersten Sätzen hatte King mich. Bereits das erste Kapitel, in dem wir den kleinen Georgie und seinen großen Bruder Bill kennenlernen, hat mir gezeigt, warum „IT“ nicht nur zu den besten Werken aus dem King-Kosmos, sondern des gesamten Horrorgenres gezählt wird. Stephen King baut ab der ersten Seite eine unbeschreiblich intensive Spannung und Atmosphäre auf, in der wir die Bedrohung durchweg spüren, während wir gleichzeitig beobachten, wie der kleine Georgie staunend seinem Bruder beim Papierschiffchen-Basteln zusieht, ja, regelrecht zu ihm aufsieht, um anschließend quietschvergnügt dem im Regen schwimmenden Schiffchen hinterherzujagen – seinem Tod entgegen. Was für eine Szene! Ich musste das Buch danach eine Weile beiseitelegen, ich trauerte um Georgie und versuchte, etwas mehr Distanz zu gewinnen.
„‘They float,‘ it growled,
‘they float, Georgie,
and when you´re down here with me, you´ll float, too –‘”
(S. 17)
Nun, das mit der Distanz klappt bei diesem Buch absolut nicht. Denn allein unsere Protagonisten – Bill, Ben, Richie, Eddie, Stan, Mike und Beverly – sind Charaktere, die man einfach lieben muss und die so viel Identifikationspotenzial für jeden bieten, der nie zu den „coolen Kids“ gehörte und wenige, aber dafür umso bessere Freunde hatte. Vor allem Bill, der äußerst verantwortungsbewusst, reif und ernst für sein Alter ist, sowie der übergewichtige, kluge Bücherwurm Ben sind mir außerordentlich ans Herz gewachsen. In Verbindung mit der Zeit, in der die Story spielt, und der Art, wie die Kids ihren Alltag verbringen, bekommt alles etwas Nostalgisches und Vertrautes, ja, fast schon etwas Gemütliches. Plötzlich bin ich als Leserin selbst wieder Kind und möchte mit Beverly und den Jungs draußen toben, spielen, Dämme bauen und um die Häuser ziehen. Doch der Schein dieser unschuldigen Kindheit trügt, denn immer wieder ist ES da, lauert in Parks, an dunklen Orten – und macht selbst vor deinem Zuhause nicht halt!
ES ist das personifizierte Böse, verkörpert deine größten Ängste, bereit, dich zu packen, wenn du nicht damit rechnest. Die Begegnungen mit ES, das hauptsächlich – aber nicht nur – in der Figur des Clowns Pennywise auftritt, sind im Vergleich zu den restlichen Geschehnissen verhältnismäßig kurz, aber dafür umso heftiger. Und mit jeder weiteren Seite gewinnt ES ein wenig mehr Macht, dringt immer weiter in die Welt der Kids und der Leser vor. Kein Wunder also, dass ES eines nachts auch mich in meinem Träumen aufsuchte.
Und die Kinder? Die stellen sich ES trotz allem tapfer und entschlossen entgegen. Mehr als einmal wollte ich sie davon abhalten, etwas zu tun oder irgendwo hinzugehen, wollte sie aus einer lebensbedrohlichen Situation retten – oder mir wie bei einem Film die Augen zuhalten. Funktioniert natürlich nicht.
Doch nicht nur ES sorgt für Horror. Mindestens genauso schockierend empfand ich die generelle Gewalt in Derry, die bereits in der Kindheit anfängt. Immer wieder eskalieren Situationen und offenbaren die Kaltblütigkeit der Mobber und Schläger, die selbst als Kinder nicht davor zurückschrecken, jemanden das Leben nehmen zu wollen. Harter Stoff, den ich als Leserin nur schwer verdauen konnte.
Allein die Horrorelemente, die zeitlosen Themen Freundschaft, Familie, Verlust, Intoleranz und Mobbing sowie die clevere Erzählstruktur machen „IT“ zu einem runden, durchweg überzeugenden Werk. Für den letzten Feinschliff sorgen dann noch die von mir hochgeschätzten Parallelen zu anderen King-Werken wie „Rita Hayworth and Shawshank Redemption“. Kurz: „IT“ ist für mich (King-)Literatur in Perfektion und steht aktuell kurz davor, zu meiner Lieblingsgeschichte aus Kings Feder zu avancieren. Genau deswegen möchte ich noch lange bei Bill und den anderen in Derry bleiben – trotz all der Brutalität und all des Grauens.
Stephen King: „IT“, Hodder and Stoughton 2011, ISBN: 978-1-4447-0786-1
Weitere Meinungen und Eindrücke:
- Leser-Austausch auf Leseblick
- Marcs Rückblick auf Teil 1 auf Lesen macht glücklich
- Marcs Rückblick auf Teil 2 auf Lesen macht glücklich
- Rezension auf Lesen macht glücklich
- Rezension auf Buchvogel
© Andrea Schmidt/ Leseblick
Schön, dass es dir gefallen hat! ES ist mein absolutes Lieblingsbuch. 😊
Ich kann gut verstehen, warum ES das ist. :D Und du hast dir ja auch eine wirklich edle Ausgabe zugelegt – diese besondere Aufmachung hat ES wirklich verdient! :)
Irgendwie bin ich auch ein wenig neidisch, dass du noch die Hälfte vor dir hast. Viel Spaß weiterhin und ich bin gespannt, wie dein Endfazit ausfällt.
Wenn ich nicht wüsste, dass auf dich noch genügend anderer Lesestoff wartet, würde ich dir ja sofort zum Re-Read raten. ;) Stattdessen hoffe ich für dich und uns alle einfach auf eine ebenso begeisternde Verfilmung!
Es ist über 20 Jahre her, dass ich das Buch gelesen habe, vielleicht wird es mal Zeit für einen Re-read :-)
Nach 20 Jahren kann ein Re-Read auf keinen Fall schaden. Gerade jetzt mit dem bald anlaufenden Kinofilm ist der Zeitpunkt dafür auch ideal. :)
Stimmt :-) Mal sehen, vielleicht als Hörbuch. Kann mich kaum noch erinnern.
Hörbuch ist bei King in Kombination mit David Nathan immer eine gute Idee. Ich musste mich auch immer wieder zurückhalten, mir nicht zusätzlich zum gedruckten Buch noch die Hörbuchversion zu holen. :D
Ach so, ich dachte automatisch an die englische Fassung. Muss mal gucken, wer es da liest :-)
Auf Englisch habe ich noch nie ein Buch von King gehört – falls du dich dafür entscheiden solltest, wäre ich sehr neugierig auf deine Eindrücke. :)
Kann noch etwas dauern. Ich höre gerade die Hist Dark Materials-Trilogie noch mal, da bald das Book of Dust erscheint, und die Osten Ard-Saga will ich auch noch mal hören, weil es da neue Bücher gibt, uff ;-)
His Dark Materials wollte ich auch irgendwann mal lesen, quasi um die Bildungslücke zu schließen. ;) Neulich hatte ich es mal mit einer Hörspielversion probiert, musste aber abbrechen, weil mir für Hörbücher/-spiele momentan doch die Konzentration fehlt.
Oh man, das klingt schon echt verlockend. Vielleicht hätte ich das auch mal lesen sollen bzw. ist der Zug ja noch nicht abgefahren, obwohl ich die alte Verfilmung schon zwei Mal gesehen habe und wahrscheinlich die neue demnächst schauen werde. Schuldig. Mit meinem letzten King-Buch war ich tatsächlich nicht so wahnsinnig zufrieden. Schreibe gerade die Kritik und weiß noch gar nicht wie es anpacken soll. Das war Mr Mercedes. Dabei bin ich ein großer King-Fan.
Gerade deswegen interessiert mich jetzt die Parallele zu Shawshank Redemption extrem ;) Vielleicht soll ich googlen oder spoilerst du mich, wenn ich lieb bitte sage?
Übrigens habe ich mich tatsächlich neulich gegen die Dark-Tower-Verfilmung entschieden und dafür die Bücher zu lesen. Wahrscheinlich aber erst ab nächstes Jahr …
Oh, bei den Verfilmungen bist du mir tatsächlich voraus. Mich hat ja die neue Verfilmung total angefixt – zumindest die ersten Bilder und Ausschnitte (und den neuen Pennywise finde ich optisch auch gruseliger als den alten) – und ich kann es kaum erwarten, dass fertige Ergebnis auf der Leinwand zu sehen. Die alte Verfilmung werde ich anschließend aber auf jeden Fall noch nachholen.
Ich glaube, ES würde dir auch gefallen – es ist unglaublich atmosphärisch und erinnert mich in seinem Erzähltempo und allem anderen ein wenig an „Der Anschlag“, was sicherlich auch daran liegt, dass beide zur gleichen Zeit spielen und sich in „Der Anschlag“ auch Anspielungen auf „ES“ finden.
„Parallelen“ ist vielleicht übertrieben, was Shawshank Redemption betrifft – das Gefängnis wird nur des Öfteren erwähnt. Trotzdem hat das wieder die unterschiedlichen Geschichten im King-Universum für mich noch näher zusammengerückt und ich hatte sofort wieder die ein oder andere Szene vor dem geistigen Auge.
„Mr Mercedes“ habe ich noch nicht gelesen. Tatsächlich ist es eines der wenigen Bücher von King, die mich noch nicht 100% locken und die ich deswegen immer vor mir herschiebe – obwohl ich bislang nur begeistere Stimmen dazu gehört habe. Du kannst dir denken, dass ich nun extrem neugierig auf deine Kritikpunkte bin. ;)
Am „Dark Tower“ lese ich auch noch. Durch „ES“ habe ich mit der Lektüre erst einmal pausiert, werde aber im Oktober auf jeden Fall weitermachen. Die Verfilmung habe ich noch nicht gesehen, weil ich zwar versucht habe, Kritiken zu meiden, aber trotzdem überall ständig zu hören und zu lesen bekam, dass die nicht gelungen sei. Das hat mir die Vorfreude verdorben – nicht weil ich eine Enttäuschung gefürchtet hätte, sondern eher wie bei einem gespoilerten Geburtstagsgeschenk oder ähnlichem. -.-