Die langjährigen Blog-Abonnenten unter euch erinnern sich sicherlich: 2013 nahm ich mir vor, intensiv das Land von Oz zu erkunden. In einem großen Leseprojekt wollte ich die Oz-Reihe von L. Frank Baum sowie Gregory Maguires „The Wicked Years“-Serie lesen. Zwei Jahre später ist mein Leseprojekt noch immer am Laufen. Im letzten Jahr las ich Gregory Maguires Serienauftakt und Musicalvorlage „Wicked“, das mich nicht einfach nur begeisterte, sondern in meinen Augen aufgrund seiner Komplexität, seiner politischen, gesellschaftlichen und religiösen Themen, der Grundsatzfragen, seiner Charaktere und der hervorragend durchdachten Welt zu den besten Fantasyromanen aller Zeiten zählt.
In dieser „grünen“ Euphorie stürzte ich mich auch gleich auf den zweiten Band, „Son of a Witch“. Hier machte sich allerdings alsbald Enttäuschung breit und nach etwa der Hälfte der Seiten legte ich das Buch zur Seite. Ein Dreivierteljahr lang ignorierte ich die Geschichte um Elphabas Sohn Liir.
Vor wenigen Wochen nun überkam mich wieder das Ozianische Fieber und ich griff erneut zu „Son of a Witch“. Und tatsächlich: Die zweite Hälfte des Buches wurde besser, wenn auch nicht überragend gut.
Doch was ist es, was mich so an diesem Buch enttäuschte?
Zum einen fehlt es „Son of a Witch“ an der Komplexität, die „Wicked“ bereithielt. Wir erfahren weniger über das Land Oz und seine Bewohner, Religion und Politik spielen eine extrem geringe Rolle, die Story selbst ist nicht so allgemeingültig, zeitlos und auf „unsere“ Welt übertragbar, wie dies bei „Wicked“ der Fall war. Dadurch regt „Son of a Witch“ weit weniger zum Philosophieren und Debattieren an als sein Vorgänger. Es rüttelt weniger auf, geht weniger zu Herzen. Verweise zu anderen in Oz spielenden Geschichten sind seltene Ausnahmen und auch innerhalb des Romans wird wenig neuaufgegriffen, um es in einen größeren Kontext zu setzen. Zudem sind die Handlung und Charaktere nicht so vielschichtig wie im Auftaktroman der Wicked Years-Reihe. Allen voran ist Protagonist Liir einen Großteil des Buches über blass und charakterlos. Und das, obwohl die Geschichte selbst durchaus Potenzial bot!
„Son of a Witch“ setzt nach Elphabas Tod ein. Nachdem Dorothy unfreiwillig Elphaba mit einem Eimer Wasser in Luft auflöste und die Familie von Liirs Vater Fiyero bereits vor längerer Zeit entführt wurde, sieht sich Liir allein. Lediglich Elphabas Amme und die fliegenden Affen sind ihm als Gesellschaft geblieben. Also bricht Liir zusammen mit Dorothy, der Vogelscheuche, dem Blechmann und dem feigen Löwen auf in die Smaragdenstadt. Dort hofft er vor allem, seine einst entführte Halbschwester Nor zu finden.
In der Smaragdenstadt angekommen, trennen sich die Wege von Liir und den vier Gefährten jedoch schnell. Irritiert hat mich dabei, wie schnell die sonst so hilfsbereite Dorothy und ihre Freunde Liir vergessen haben. Liir bleibt auf sich allein gestellt zurück, in einer Stadt, die er vor fast einem Jahrzehnt verließ und in der er niemanden kennt.
Anfangs hat Liir noch den Antrieb durch seine Suche nach Nor. Er schafft es sogar bis ins unterirdische Gefängnis, in dem Nor gefangen sein soll. Dort angekommen erfährt Liir jedoch bald, dass Nor die Flucht aus dem Gefängnis gelang. Seither hat sie niemand mehr gesehen.
Nun sollte man meinen, dass Liir sich glücklich ob dieser Nachricht schätzt und noch intensiver nach Nor sucht – jetzt, wo er weiß, dass sie die Qualen der Gefangenschaft überlebt hat. Doch Liir verliert sein Ziel schnell aus dem Augen. Er tritt der Armee bei, hat die Suche nach Nor zwar ständig im Hinterkopf, versucht aber nicht einmal ansatzweise, sie zu finden. Stattdessen vergeht ein Jahrzehnt im Dienste der Armee und ohne allzu Bedeutendes in Liirs Leben. Leider lässt uns Gregory Maguire an dieser doch eher langweiligen Dekade aus Liirs Leben ausführlich teilhaben, was einer der beiden Gründe war, weshalb ich damals eine Pause vom Buch brauchte. Der zweite Grund ist Liirs nicht vorhandener Charakter. Liir scheint einfach keinen eigenen Willen, keine eigene Meinung zu haben. Er existiert, aber lebt nicht wirklich. Die Ungewissheit, ob Elphaba und Fiyero tatsächlich seine Eltern sind, lässt ihn relativ kalt. Er fühlt sich einerseits als verlorene, einsame Seele, die nur ein Schattendasein fristet, tut aber auch nichts, um zu einem Individuum zu werden. Einerseits stellt er sich die Frage nach seiner Verwandtschaft mit Elphaba, andererseits will er aber auch keine Gewissheit darüber. Er hält sich für einen Niemand, der keine Talente hat, der nichts kann und weiß – und führt sich in diesem Selbstmitleid leider auch ständig wie ein Niemand auf. Außerdem ist er eine treulose Seele! Nicht nur gibt er Nor schnell auf, nein, auch ein Versprechen, das er der weisen, alten Elefantendame Prinzessin Nastoya gab, vergisst er ebenso schnell wie er es aussprach.
Liir hätte ich also gerne wieder und wieder kräftig geschüttelt, um ihn wachzurütteln, ihm die Augen zu öffnen.
Mit Mitte 20 schafft Liir es dann aber tatsächlich doch noch, sich weiterzuentwickeln.
Er beginnt, mit Elphabas Besen zu fliegen, wird dabei jedoch von Drachen angegriffen und stürzt in ein langes Koma.
In ebenjenem Kloster, in dem einst Elphaba mehrere Jahre lang lebte und Liir die ersten Jahre seiner Kindheit verbrachte, sorgt sich das schweigsame Mädchen Candle um den komatösen Liir. Schließlich gelingt es ihr, ihn aus dem Koma zu holen und die beiden fliehen aus dem Kloster. In der darauf folgenden Zeit legt Liir endlich seine Passivität ab und beginnt aktiv zu handeln, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Er tritt Elphabas Erbe an, kämpft gegen die Drachen, die die in der Wildnis lebenden Völker und auch die Vogelwelt regelrecht abschlachten. Er beginnt, sich mit seiner Vergangenheit und Herkunft auseinanderzusetzen, lässt Gefühle zu und löst schließlich sogar sein Versprechen gegenüber Prinzessin Nastoya ein.
Neben Liirs späten Weiterentwicklung nahm auch die Handlung im letzten Drittel an Fahrt auf. Ungeklärt bis zum Schluss bleibt jedoch die Frage: Was ist aus Nor geworden? Ich muss gestehen, das hat bei mir gewaltigen Frust provoziert. Dass gerade der Aspekt, der Anlass für Liirs Aufbruch und damit für den Roman war, für den Leser unbeleuchtet bleibt, gab mir das Gefühl, reingelegt worden zu sein – insbesondere da die vielen Leserfragen nach Nors Schicksal einer der wesentlichen Gründe waren, weshalb Gregory Maguire überhaupt eine Fortsetzung zu „Wicked“ schrieb. Doch vielleicht wollte sich der Autor auf diese Weise ein paar Optionen für die beiden Folgebände freihalten?
Rückblickend und alleinstehend betrachtet ist „Son of a Witch“ zwar ein ganz netter Fantasyroman, mehr aber auch nicht. Im Vergleich zum Vorgänger „Wicked“ ist die Qualität sogar drastisch abgefallen – „Son of a Witch“ fehlt es an Humor, Spannung, Gefühl, Tiefgang und Vielschichtigkeit, kurz: an nahezu allem, was „Wicked“ auszeichnete. Tatsächlich hat mich in „Son of a Witch“ am meisten ein Nebencharakter überzeugt: Trism bon Cavalish – ein Militärangehöriger, durch den Liir einst den Rat bekam, sich der Armee anzuschließen, und mit dem Liir ein Jahrzehnt später eine Liaison hat.
Und dennoch, ich werde nach Oz zurückkehren, denn:
Elphaba lebt!
Also ich bin ja immer wieder erstaunt wieviel länger manche Reihen sind, als ich vermute. Gerade wieder einen Artikel über die zahlreichen Bücher gelesen, die sich mit Louis und Lestat aus „Interview mit einem Vampir“ beschäftigen. Und bei den Geschichten aus Oz habe ich es vor deinem Artikel auch nicht gewusst. Dass die Qualität aber so stark schwankt ist schon krass. Ich bin da immer etwas fies und vermute schnell Profitgier, obwohl man das eigentlich niemandem unterstellen möchte …
Mit „Interview mit einem Vampir“ kenn ich mich nicht gut aus, war aber damals bereits überrascht, als ich erfuhr, dass es überhaupt eine Reihe ist und noch dazu dieselbe, zu der auch „Königing der Verdammten“ gehört (letzterer ist der einzige Band der Reihe, den ich überhaupt gelesen habe). Doch ich kann mir vorstellen, dass es inzwischen schon etliche Adaptionen und Spin-Offs gibt. Graphic Novels gibt es dazu ja auch seit letztem(?) Jahr. Bei manchen Reihen kann man da auch schon einmal den Überblick verlieren.
Die „original“ Oz-Reihe von L. Frank Baum ist mit 14 Bänden wirklich lang. Die Bücher selbst sind zwar recht kurz, aber bis auf zwei, drei Bände nicht überragend – die Handlungen folgen dort einfach zu starr demselben Schema. L. Frank Baum hat wohl damals viele Briefe junger Mädchen erhalten, die weitere Oz-Abenteuer wollten. Ob das wirklich der Grund für die lange Reihe war oder es nur um leicht verdientes Geld ging?! Wer weiß das schon. Bei manchen Reihen oder auch Buchtrends (z.B. Vampire, Dreiecksbeziehung, Jugendliche mit Krebs, Dystopien, Erotik) habe ich aber – wie du – das Gefühl, dass es sich jemand leicht macht, mit Büchern Geld zu verdienen: Wenn etwas gut ankommt, wird es so lange ausgeschlachtet, bis ein neuer Trend gefunden ist.
Andererseits stelle ich es mir jedoch auch schwer für die Autoren von Reihen vor: Ist der erste Band ein großer Erfolg, werden die Fortsetzungen immer daran gemessen – ich denke, dass das auch stark unter Druck setzen kann, v.a. wenn im Nacken auch noch ein Verlag sitzt, der die Fortsetzung so schnell wie möglich rausbringen will.