Nach mehrmonatiger Pause ist es nun an der Zeit, zurück nach Oz zu kehren. Ich habe mich in mein grünstes Outfit geworfen, die grüne Brille für die Smaragdstadt im Gepäck und bin bereit, Elphaba, Galinda, Fiyero und all die anderen Studenten der Shiz University zu begleiten.
Dieses Wochenende tauche ich daher tief in die Seiten von „Wicked: The Life and Times of the Wicked Witch of the West“, dem Auftakt zu Gregory Maguires „The Wicked Years“-Reihe, ein. In den folgenden Stunden und Tagen werde ich diesen Beitrag mehr oder weniger regelmäßig aktualisieren und mit meinen Impressionen und Erlebnissen im magischen Lande Oz befüllen.
Für die ideale Einstimmung auf das ozianische Wochenende haben heute bereits akustische Impressionen aus dem gleichnamigen Musical gesorgt.
Freitag, 19:50
Vor Jahren hatte ich „Wicked“ schon einmal gelesen, doch sind mir nur zwei Dinge im Gedächtnis geblieben: die mysteriöse Uhr des Zeitdrachens und Elphabas Wasserunverträglichkeit, wegen derer sie ihre Haut mit Öl reinigt. Ganz behutsam tastete ich mich daher nun an den Reread des Buches heran und erkundete zunächst anhand der enthaltenen Karte die Geografie von Oz, bevor ich mich tief in die Geschichte stürzte.
Zwischen den Seiten angekommen, wagte ich einen Blick in die Zukunft: Mit Elphaba, die als böse Hexe des Westens in die Historie von Oz eingehen soll, fliege ich über den gelben Ziegelsteinweg, um Dorothy und ihre drei Gefährten zu beobachten. Als sich die vier Reisenden zur Ruhe setzen, erfahre ich all die Gerüchte, die über Elphaba kursieren – ein jedes davon gemeiner als das andere. Doch es gibt durchaus auch etwas zu schmunzeln: Der Blechmann behauptet, Elphaba sei als Mann geboren und kastriert worden, worauf der Löwe argumentiert, dass der Blechmann ÜBERALL Kastration sehe – ein Witz, den nur versteht, wer mit „Der Zauberer von Oz“ vertraut ist. Ich liebe solche Querverweise auf andere Bücher und hoffe, dass Gregory Maguire noch mehr davon bereithält!
Samstag, 10:45
Einen wunderschönen Samstag wünsche ich euch!
Gestern Abend habe ich den ersten Teil des Bandes – „Munchkinlanders“ – beendet. In acht Kapiteln erhielt ich Einblick in Elphabas Familie und ihre ersten Lebensjahre, mein Wissen über die ominöse Uhr des Zeitdrachen wurde aufgefrischt – und auch die Geschichte Ozmas wurde thematisiert. Ihr erinnert euch: In L. Frank Baums Büchern ist Ozma eine gute Freundin von Dorothy und ein schönes, allseits beliebtes Mädchen, das die ersten Jahre wegen eines Zaubers als Junge heranwuchs und nach Aufhebung jenes Zaubers seiner Bestimmung, Herrscherin von Oz zu sein, nachkommt. Bei L. Frank Baums Bändern gab es über Ozmas Vergangenheit jedoch immer ein paar Unstimmigkeiten, das Baum ihre Vergangenheit stets neu schrieb. Gregory Maguire indes hat die Oz-Historie nun etwas abgerundet und einen Ansatz gefunden, den ich sehr interessant finde: In seinen Büchern wird das Land stets von einer Frau regiert, wobei Ozma der Name aller Herrscherinnen ist – der Legende nach soll Ozma die Tochter der Feenkönigin Lurline sein und sich immer wieder aus sich selbst gebären.
Doch kommen wir zu den wichtigen Teilen der Geschichte:
Die Uhr des Zeitdrachens ist ein durchs Land ziehendes Orakel, das optisch einem Puppentheater ähnelt. Pfarrer Frex, zukünftiger Vater von Elphaba, begibt sich in das Dorf Rush Margins, wo die Uhr des Zeitdrachens als nächstes auftauchen soll. Für ihn ist das Orakel Humbug und eine Bedrohung für die unionistische Religion. Er versucht, die Bürger davon abzuhalten, sich auf die Uhr des Zeitdrachens einzulassen. Doch es ist zu spät: Kaum hat er mit seiner Rede begonnen, trifft das Orakel ein und die Bürger von Rush Margins sind wie gebannt. Das Orakel lässt sie wissen, dass sie Frex, seine Frau Melena und deren noch ungeborenes Kind töten müssen. Prompt entwickelt sich aus den einfachen Bürgern ein aggressiver Mob. Während eine Einwohnerin Frex in ihrem Keller verstecken kann, wird die in den Wehen liegende Melena von den bei der Geburt behilflichen Frauen in Sicherheit gebracht. Wie es der Zufall (oder das Schicksal?) so will, landen sie auf einem Friedhof, auf dem inzwischen die Uhr des Zeitdrachens geparkt ist – und die Ironie des Lebens lässt die kleine Elphaba in genau jenem Orakel zur Welt kommen, welches kurz zuvor zum Mord an ihr aufrief.
Elphabas Leben steht also bereits während der Geburt unter keinem guten Stern. Doch es kommt noch schlimmer: Sie hat scharfe Zähne, mit denen sie den Finger einer Hebamme abbeißt, und ist am ganzen Körper grün. Niemand kann sich diese Hautfarbe erklären – bis Melena sich daran erinnert, dass sie einmal Besuch von einem Fremden hatte, der ihr eine grüne Flasche mit einem magischen Elixier gab. Doch während der Grund für Elphabas Haut nun klar ist, scheitern alle Versuche, das Mädchen zu entgrünifizieren.
Es folgen Jahre voller Ungeliebtheit: Die Familie isoliert sich von der Außenwelt; Melena kann keine mütterlichen Gefühle für dieses kleine, grüne Baby aufbringen, versinkt täglich im Drogenrausch und traut sich nicht, ihrer Familie, die weit oben in der ozianischen Gesellschaft steht, von ihrer Tochter zu erzählen. Hinzu kommt, dass Melena schon länger unglücklich in ihrer Ehe mit Frex ist – immer wieder lässt er sie für seine Arbeit im Stich, sie fühlt sich vernachlässigt und realisiert, dass ihr Leben auf dem Land weit von dem Leben entfernt ist, dass einer Frau ihres Standes möglich und würdig gewesen wäre. Als Frex seine Gattin eines Tages wieder alleine lässt, erhält Melena Besuch von einem Wanderer aus dem Land der Quadlings. Ein Glasbläser namens Turtle Heart – und der erste Mensch, der in der kleinen Elphaba kein Monster sieht. Das Mädchen fasst sofort Vertrauen zu dem rothaarigen Mann und ist fasziniert von dem grünen Glas, das er bläst und das ebenfalls als Orakel fungiert.
Melena beginnt eine Affäre mit dem Quadling und für mehrere Monate wohnt Turtle Heart bei der kleinen Familie. Frex ahnt nichts von dem leidenschaftlichen Verhältnis, stattdessen freundet er sich gar mit Turtle Heart an – und scheint sich sogar selbst zu ihm hingezogen zu fühlen.
Als Elphaba zwei Jahre alt ist, ist Melena erneut schwanger. Um zu verhindern, dass das zweite Kind ebenfalls grün zur Welt kommt, sorgt sie mit magischen Pillen vor. Am selben Abend, als Melena ihre Schwangerschaft offenbart, sieht Elphaba in dem grünen Orakel-Glas den Heißluftballon, in dem der zukünftige Zauberer nach Oz kommt – und Elphaba, die bis zu diesem Abend nie sprach, sagt immer wieder das Wort „Horrors“ …
Samstag, 19:00
Nach meiner gestrigen Reise ins Munchkinland halte ich mich heute an der Shiz University im Land der Gillikans auf, wo ich just das erste Studienjahr von Elphaba und Galinda beendet habe.
Die grüne Einzelgängerin Elphaba und die hübsche, beliebte Galinda, die selten über etwas nachdenkt und stets darauf bedacht ist, dass sie buchstäblich ins beste Licht gerückt wird – sie könnten unterschiedlicher nicht sein, müssen sich aber wegen eines unglücklichen Zwischenfalls ein Zimmer teilen. Während Elphaba sich von jeglichem Campusleben abseits des Unterrichts fernhält und ihren Kopf Tag und Nacht in die Bücher steckt, verbringt Galinda ihre Zeit mit den Studentinnen aus den wohlhabenden Familien. Erst nach drei Monaten spricht Galinda erstmals mit Elphaba. Doch ab diesem Abend entwickelt sich zwischen den beiden eine Art Freundschaft – wenn auch eine eher heimliche, denn Galinda ist darauf bedacht, sich in der Öffentlichkeit nicht mit Elphaba zu zeigen, würde dies doch ihre Popularität und damit den erhofften gesellschaftlichen Aufstieg gefährden.
Daneben begegnen wir an der Shiz dem Munchkin Boq. Boq ist über beide Ohren in Galinda verliebt und da er Elphaba noch aus der gemeinsamen Kindheit in Rush Margins kennt, soll Elphie (wie er sie häufig nennt) zwischen ihm und Galinda ein Date arrangieren. Galinda lässt sich darauf zwar ein, sieht den kleinen Farmerssohn Boq jedoch unter ihrer Würde. Statt einer Liebelei zwischen Galinda und dem Munchkin entwickelt sich in den kommenden Monaten eine gute Freundschaft zwischen Boq und Elphaba, die immer wieder von gegenseitigen Neckereien geprägt ist. Tatsächlich macht Boq sogar Scherze über Elphabas grüne Haut – und zwar nicht wie alle anderen hinter deren Rücken. Statt verletzt zu sein, geht Elphaba auf die Witze ein und spinnt sie sogar weiter. Auch sonst ist Elphaba eine Frau, die trotz ihrer schweren Kindheit unglaublich viel Humor hat – ihre Gespräche mit Boq oder Galinda sind grandios und ich könnte diesen Dialogen ständig lauschen!
“ ‚[…] You’re clever and you’re sort of, oh, well, I mean to look at – ‚
‚Handsome?‘ suggested Elphaba. ‚Dashing?‘
‚You’re fun to look at,‘ decided Galinda.
Boq’s face fell. ‚Fun?‘ he said.
‚I’d give a lot to achieve fun,‘ Elphaba said. ‚The best I usually hope for is stirring, and when people say that they’re usually referring to digestion – ‚ “
(Gregory Maguire, „Wicked: The Life and Times of the Wicked Witch of the West“, Headline Review 2006, S. 123)
Neben dem alltäglichen Studentenleben an der Shiz dreht sich das Geschehen um die Absicht des Zauberers von Oz, alle sprechenden und wie Menschen agierende TIERE aus dem öffentlichen Leben zu verbannen: Sie sollen künftig bspw. nicht mehr unterrichten, nicht mehr in öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, sondern wie die gewöhnlichen Tiere leben. Dr. Dillamond, ein an der Shiz unterrichtender Ziegenbock, versucht daher, naturwissenschaftlich nachzuweisen, dass die TIERE sich biologisch nicht von den Menschen unterscheiden. Elphaba, die in den Ferien für Dr. Dillamond arbeitet, sucht nach stützenden Beweisen in Fachliteratur und religiösen Schriften. Als Frau hat sie jedoch nicht zu allen Bibliotheken der Universität Zugang, weshalb Boq ihr seine Hifle anbietet – gemeinsam mit zwei seiner Kommilitonen recherchieren die Studenten den ganzen Sommer über. Doch die Gesetze des Zauberers zur Verbannung der TIERE sind bereits in Kraft getreten – und die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Herrscher von Oz trotz wissenschaftlicher Beweise umstimmen lässt, ist sehr gering …
Sonntag, 11:00
Woah, was war das gestern noch für ein ereignisreicher Abend!
Das zweite Studienjahr an der Shiz hielt etliche Veränderungen bereit. Zum einen wären da die beiden neuen Studenten Nessarose und Fiyero. Erstere ist die Schwester von Elphaba. Nessarose kam ohne Arme auf die Welt und hat Schwierigkeiten, ohne Hilfe zu laufen. Aber sie ist auch sehr hübsch und der Liebling ihres Vaters, der ihr eines Tages ein Paar silberne, mit Edelsteinen besetzte Schuhe schenkt – eben jene Schuhe, mit denen Dorothy in „Der Zauberer von Oz“ zurück in ihre Heimat kehren kann und die Boq im vorliegenden Buch bereits zuvor auf einem alten Gemälde entdeckte.
Fiyero hingegen ist ein Prinz aus dem wenig bevölkerten Land der Winkies. Im Gegensatz zu dem selbstbewussten, rebellischen, gutaussehenden und in der Regel hellhäutigen Fiyero im Musical ist dieser hier dunkelhäutig, schüchtern und kein sonderlicher Frauenheld.
Neben den neuen Studenten hält das neue Schuljahr auch ein tragisches Erlebnis für die Protagonisten bereit: Dr. Dillamond wurde ermordet – ein Ereignis, das nicht ohne Folgen bleiben soll: Galindas Anstandsdame verfällt in eine Art Schockstarre und Galinda nennt sich fortan Glinda – zu Ehren Dr. Dillamonds, der bei ihrem Namen stets das erste „A“ wegließ (leider ist das im Buch nicht so ein wunderbarer Running Gag wie im Musical). Daneben hat Glinda sich auch charakterlich verändert: Sie ist ernsthafter, erwachsener und wendet sich weitestgehend von ihren bisherigen Freundinnen ab, die ihr nun zu oberflächlich und arrogant erscheinen. Stattdessen baut Glinda nun eine tiefe Freundschaft mit Elphaba auf. Zusammen mit Nessarose, Fiyero, Boq und Kommilitonen Boqs bilden sie fortan eine enge Clique.
Einige Zeit nach dem Mord bietet die zwielichtige Direktorin Madame Morrible Glinda, Nessarose und Elphaba an, in Zukunft den Zauberer von Oz zu unterstützen, in dem jede von ihnen über einen Teil des Landes regiert. Doch dazu soll es nie kommen, denn Elphaba geht ihren eigenen Weg: Nach der Beerdigung von Glindas Anstandsdame trennen sich die Wege der Freunde für lange Zeit: Während Nessarose und ihre Nanny sich auf ihr Zimmer begeben, brechen Elphaba und Glinda in die Smaragdstadt auf, um den Zauberer von Oz aufzusuchen. Der restliche Freundeskreis wagt sich dagegen in den berüchtigten (und anrüchigen) Philosophy Club auf, wo sie im Alkohol- und Drogenrausch in eine bizarre Sexorgie involviert werden (ja, Maguires „Wicked“ ist NICHT jugendfrei, auch wenn es die Vorgeschichte zu einer Kinderbuchreihe ist).
In der Smaragdstadt angekommen werden Elphaba und Glinda tatsächlich zum Zauberer vorgelassen. Elphaba konfrontiert ihn mit dem Tode Dr. Dillamonds und verlangt, dass der Zauberer seine Gesetze gegen die TIERE zurücknimmt. Der ist dazu aber absolut nicht bereit; Glinda und Elphaba müssen enttäuscht abziehen. Doch Glinda muss alleine zurück zur Universität fahren, denn Elphaba hat sich dafür entschieden, in der Smaragdstadt zu bleiben – ihr Kampf gegen die Unterdrückung der TIERE durch den Zauberer beginnt nun richtig.
Sonntag, 16:20
Fünf Jahre sind vergangen, seit Elphaba sich gegen die Rückkehr an die Shiz University entschied. Inzwischen hat sie sich einer Untergrundorganisation angeschlossen, lebt zurückgezogen und versteckt in der Smaragdstadt. Durch Zufall begegnet ihr dort eines Tages Fiyero. Beide treffen sich in den kommenden Wochen mehrfach, beginnen eine Affäre. Doch Elphabas Aktivität in der gewalttätigen Undergrundorganisation sorgt immer wieder über Grundsatzdebatten zwischen den Liebenden und so dreht sich im dritten Teil des Buches vieles um Fragen nach Gut und Böse, Richtig und Falsch.
Zugleich greift die (staatliche) Gewalt in Oz zunehmend um sich. Schließlich gipfelt alles in einem Attentat, bei dem Elphaba niemand geringeren töten soll als ihre alte Direktorin Madame Morrible …
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