Es ist der 6. September 1492. Ein letztes Mal blicke ich zurück auf La Gomera, die kleine und bergige kanarische Insel mit der üppigen Natur, bevor ich an Bord der Santa Maria gehe, wo mich Christoph Kolumbus freundlich empfängt. Ziel der Reise ist es, einen Seeweg nach Ostasien zu finden – dass uns diese Reise jedoch an ein anderes Ziel führen wird, verrate ich meinem Reisegefährten nicht. Stattdessen lasse ich mich über den Ozean treiben und schaue Kolumbus über die Schulter. Während der Reise verrät er mir auch ein Geheimnis: Ins Logbuch trage er stets eine geringere Anzahl an Seemeilen ein, als tatsächlich während des jeweiligen Tages zurückgelegt wurde. Auf diese Weise hofft Kolumbus die Motivation der Mannschaft aufrecht zu erhalten – die Reise wird lang und soll durch eine hohe Anzahl an Seemeilen nicht noch länger erscheinen. Bereits acht Tage später stößt die Besatzung auf das erste Anzeichen dafür, dass sich im Westen Land befindet: Die Crew des Begleitschiffs Niña sichtet einen Reiher und einen weiteren Vogel einer Gattung, die sich maximal 100 Seemeilen vom Land entfernt. In den kommenden Tagen folgen weitere Hinweise für nahes Land wie zum Beispiel im Wasser treibendes Gras. Am 12. Oktober erreichen wir schließlich die Küste der bahamaischen Insel Guanahani. Die Einwohner sammeln sich schnell um uns und Kolumbus ist sofort bemüht, sich mit ihnen zu befreunden. Auch in den kommenden Monaten kommt mein Reisegefährte kaum aus dem Schwärmen über die Freundlichkeit der Einheimischen heraus und bei dem Schiffbruch der Santa Maria am 25. Dezember erweisen sie sich schließlich als große Helfer.
Nach den turbulenten, spannenden Erlebnissen mit Christoph Kolumbus reise ich zunächst nach Brasilien, wo ich gemeinsam mit Hans Staden sofort in einen Aufstand gerate. Im Anschluss führt es mich zu Johann Gottfried Seume nach Halifax, wo mit Ausnahme des Gefängnisses alle Gebäude aus Holz gefertigt sind, was mich unweigerlich an „Unsere kleine Farm“ denken lässt. Doch auf meinem Reiseprogramm steht nicht nur das direkte Erleben, sondern auch ein wissenschaftlicher Austausch mit Alexander von Humboldt. Der Forscher spricht mit mir über Gemeinsamkeiten zwischen den amerikanischen Urvölkern und anderen Völkern der Welt, dem Mangel an Denkmälern in Amerika, dem Desinteresse der Wissenschaftler an den kulturellen Spuren der Urvölker, den zukünftigen Verhältnissen von Europa und Amerika und dem von ihm erwarteten deutlichen Bevölkerungswachstum in Amerika.
Nach diesem wissenschaftlichem Exkurs ist mir mein nächster Reisebegleiter eine überaus willkommene Abwechslung: Mit Oscar Wilde treffe ich mich an der Ostküste der USA zu einer Rundreise, auf welcher er für mich zu dem amüsantesten und sympathischsten Gefährten meiner bisherigen Weltreise werden soll.
„Ich fürchte, ich kann Ihnen Amerika insgesamt nicht gerade als ein Elysium schildern“
(Oscar Wilde: „Amerikanische Impressionen“ In Patrick Hutsch (Hrsg.), „Weltreisende und Entdecker: Ein Lesebuch“, Fischer Taschenbuch Verlag 2012, S. 68)
Was Wilde in Amerika zuerst auffällt, ist der hiesige Kleidungsstil: Seiner Ansicht nach wären die Amerikaner zwar nicht die bestangezogenen Leute der Welt, aber dafür die am bequemsten gekleideten. Auch die ständige Eile der Amerikaner sowie der starke Lärm stechen meinem Reisegefährten schnell ins Auge bzw. Ohr: „Amerika ist das lärmendste Land, das es je gegegen hat. Des Morgens wird man nicht vom Ruf der Nachtigall, wohl aber vom Geheul der Dampfsirene geweckt“ (ebd. S. 68-69). Doch Wilde kommt nicht umhin, die von den Amerikanern entwickelten Maschinen und die Ehre und Unterstützung, die hierzulande Erfindern zuteil wird, zu bewundern. Letztlich kann mein Reisegefährte den amerikanischen Städten aber nicht so viel abgewinnen wie den britischen Städten Oxford, Salisbury, Winchester und Cambridge. „Immerhin aber gibt es da und dort manches Schöne, freilich nur dann, wenn es nicht von Amerikanern geschaffen ist. Überall dort nämlich, wo Amerikaner sich in der Schaffung von etwas Schönem versucht haben, ist ihnen das aufs Bemerkenswerteste danebengelungen“ (ebd. S. 69). Doch nicht nur das von Menschen Geschaffene kritisiert mein Reisegefährte: Auch an den Niagarafällen lässt Wilde kein gutes Haar, was ich ihm kaum verübeln kann, denn die berühmten Wasserfälle können wir nur aus weiter Ferne begutachten. Spannender wird unsere Reise jedoch als wir – nach sechstägiger Eisenbahnfahrt – im Westen der USA ankommen. An diesem Teil der Vereinigten Staaten findet selbst Wilde großes Gefallen. Auf unserer Reiseroute liegen unter anderem San Francisco, Salt Lake City und das in den Rocky Mountains liegende Leadville. Letzteres wird für mich der unvergesslichste Ort meiner Reise durch Nord- und Südamerika werden, denn in Leadville begegnen Wilde und ich nicht einem einzigen Menschen, der keinen Revolver bei sich trägt und in einem Saloon entdecken wir sogar ein Schild, das die Gäste darauf hinweist, doch bitte nicht den Pianisten zu erschießen, schließlich tue dieser, was er könne. Die Rundreise mit Oscar Wilde erweist sich also für mich als ein durch und durch einmaliges Erlebnis, dass ich jedem ans Herz legen kann. Für mich ist es auch ein krönender Abschluss meines Amerika-Trips, denn nach der Rundreise durch die USA geht es für mich zurück nach Deutschland.
Zurück in den heimischen Gefilden treffe ich mich mit Arthur Schnitzler und spreche mit ihm über Amerika. Er selbst ist zwar nie dort gewesen, vertraut mir allerdings die Geschichte eines Mannes an, für den Amerika eine ganz eigene Bedeutung hat. Doch diese Geschichte solltet ihr euch von Herrn Schnitzler selbst erzählen lassen – schließlich vermag er dies weitaus besser, als ich es je könnte. Außerdem muss ich nun auch schon wieder aufbrechen – Homer und Mark Twain warten bereits auf mich, um mit mir durch das antike Griechenland und Europa zu reisen.
Über die literarische Weltreise: Ab Juli 2014 möchte ich mittels des Fischer Klassik-Titels „Weltreisende und Entdecker: Ein Lesebuch“ die ganze Welt bereisen. Geschichten, Aufsätze, Briefe und Tagebucheinträge von Entdeckern, Forschern und Schriftstellern sollen mir dabei Land und Leute nahe bringen. Was ich mit den berühmten Reisegefährten erlebe, lasse ich euch jede Woche per digitaler Flaschenpost wissen.
Oh ja, als Kind habe ich mir immer eine Flaschenpost gewünscht. Innendrin eine Schatzkarte. Bis jetzt bist du schon gut rumgekommen. :D
Eine Schatzkarte habe ich leider bisher nicht gefunden, aber ich kann gern eine zeichnen und in die Gera werfen – vielleicht landet sie ja nach einer Reise durch Unstrut, Saale und Elbe an den Klippen eures Leuchtturms. Bis dahin kann ich euch nur hier mit aus lauter Bytes bestehenden Flaschen versorgen. ;)
Flaschenpost und Schatzkarten waren bei uns Kindern übrigens auch total beliebt – Schätze konnten wir aber leider nie entdecken :D
Ich wünsch euch ein schönes Wochenende!
Byte-Flaschenpost ist auch gut. Dir auch ein schönes Wochenende, liebe Kathrin.
LG, Olli und Tanja