Steve McQueens Film „12 Years a Slave“ war in den vergangenen Monaten in aller Munde – zurecht, ist der Film doch wirklich ein cineastisches Kunstwerk (meine Eindrücke findet ihr hier). Die literarische Vorlage kennen jedoch nur die wenigsten – einer der Gründe, weshalb der britische Regisseur die Geschichte von Solomon Northup verfilmen wollte. Gerade hier in Deutschland sind die Memoiren von Northup bis vor Kurzem unbekannt gewesen, was nicht zuletzt daran lag, dass es keine deutsche Übersetzung des Buches gab! Zum Glück hat sich das endlich geändert, denn seit diesem Februar ist „Twelve Years a Slave“ auch in deutscher Sprache erhältlich (leider ohne die Originalillustrationen). Es wurde Zeit – ist das Buch in den USA doch bereits 1853 erschienen!
Solomon Northup war ein Afroamerikaner, der im 19. Jahrhundert im US-Bundesstaat New York lebte und seinen Lebensunterhalt als Schreiner und Violinist verdiente. Sowohl er als auch seine Frau lebten dabei immer nur von einem zeitlich begrenzten Engagement zum nächsten. Im Jahr 1841 schließlich wurde Solomon von zwei Männern angesprochen, die behaupteten, für einen Zirkus zu arbeiten. Sie boten ihm an, sie als Musiker nach New York City zu begleiten und versprachen ihm eine Gage, die zu hoch schien, um wahr zu sein. Doch Solomon, der gerade kein anderes Engagement hatte, ließ sich auf das lukrative Angebot ein. Nachdem das Trio New York City erreichte, schlugen die beiden Männer Solomon vor, sie doch noch mit nach Washington zu begleiten. Erneut sagte Solomon zu. Seiner Familie erzählte der Violinist nicht: Da seine Frau für mehrere Wochen in einem anderen Ort arbeitete und auch seine Kinder während dieses Zeitraums woanders waren, ging Solomon davon aus, früher zurück zu sein als seine Familie, weshalb eine Notiz überflüssig erschien. Eine Entscheidung, die er noch bereuen sollte. Denn in Washington luden die beiden Begleiter Solomon auf einen Drink ein. Als es ihm kurz darauf zunehmend schlechter ging, versprachen die beiden Herren, Solomon ins Krankenhaus zu bringen. Doch am nächsten Morgen fand er sich in einer Zelle wieder – allein, ohne Tageslicht und ohne zu wissen, warum und wo er sich befand.
Von da an geriet Solomons Leben zum Albtraum: Er, der sein Leben lang ein freier Mann war, wurde nach Louisiana verschleppt und als Sklave verkauft. Anfangs arbeitete er für den Plantagenbesitzer William Ford, der ihn und die anderen Sklaven noch recht menschlich behandelte. Lebensgefährlich war die Zeit für Solomon dennoch, denn der hasserfüllte, aggressive Tischler Tibeats drohte Solomon mehrfach das Leben zu nehmen. 1843, nachdem Solomon Northup zwei Jahre lang für Ford tätig war, wurde er weiterverkauft. Anfangs war Solomon erleichtert, da er auf diese Weise von Tibeats wegkam, doch sein neuer Herr Edwin Epps erwies sich als nicht weniger grausam als Tibeats:
„He could have stood unmoved and seen the tongues of his poor slaves torn out by the roots – he could have seen them burned to ashes over a slow fire, or gnawed to death by dogs, if it only brought him profit. Such a hard, cruel, unjust man is Edwin Epps.“
(Solomon Northup: „Twelve Years a Slave“, Penguin Books 2013, S. 120)
Insgesamt zwölf Jahre litt Solomon Northup als Sklave. Obwohl er in diesen Jahren immer wieder mit dem Gedanken an Flucht spielte, war diese doch unmöglich: Die Hunde der Plantagenbesitzer waren darauf abgerichtet, entflohene Sklaven aufzuspüren und gegebenenfalls zu töten; zudem war das ganze Gebiet von Sumpf umgeben, in dem unter anderem giftige Schlangen und Alligatoren ihr Dasein fristeten. Solomon Northup war also auf Hilfe von Außen angewiesen. Doch obwohl es ihm bereits kurz nach seiner Entführung gelang, einen Brief an Vertraute zu senden, sollte es bis zu seiner Rettung noch über ein Jahrzehnt dauern.
Bereits kurz nach seiner Befreiung im Jahr 1853 machte sich Solomon daran, seine Erlebnisse publik zu machen. Seine Memoiren sind dabei zu Beginn recht faktisch. Solomon Northup gewährt zunächst Einblicke in seine Familiengeschichte, wobei er sich bei jedem Aspekt recht kurz fasst, sodass der Leser in kurzer Zeit mit derart vielen Informationen konfrontiert wird, dass man nicht auf Anhieb einen leichten Zugang zum Buch findet. Im weiteren Verlauf ändert sich das jedoch und vor dem Leser erwachen die Qualen der Sklaven zum Leben. Wir leiden mit, wenn Solomons Appelle an seine Freiheit durch Schläge erstickt werden und wenn seine Mitgefangene Eliza zusehends daran zerbricht, dass man sie erst von ihrem Sohn und anschließend auch noch von ihrer Tochter trennte. Uns stockt der Atem, als Tibeats Solomon umbringen will und als die Sklavin Patsey fast zu Tode gepeitscht wird. Wir erfahren von dem Zwiespalt, in den die Sklaven immer wieder geraten, wenn sie eine Aufseherfunktion übernehmen und Gewalt anwenden sollen. Glücksmomente sind den Sklaven nur an Weihnachten vergönnt – die einzigen freien Tage, die man ihnen im Jahr gewährt. Solomon beschreibt diese Weihnachtsfeste derart detailliert und lebendig, dass die Leser spüren, wie ausgewechselt die Sklaven an diesen Tagen sind und in welchem Kontrast diese Momente zu ihrem sonstigen Dasein stehen. Solomon Northup hat zudem ein seine Violine, die ihm nicht nur Halt gibt und eine Verbindung zu seinem früheren Leben darstellt, sondern ihn durch Auftritte bei anderen Plantagenbesitzern hin und wieder auch von der erschöpfenden Arbeit befreit:
„Alas! had it not been for my beloved violin, I scarcely can conceive how I could have endured the long years of bondage.“
(Solomon Northup: „Twelve Years a Slave“, Penguin Books 2013, S. 143)
Zugegeben: Wenn Solomon Northup seitenlang landwirtschaftliche Vorgänge wie die Saat und Ernte von Baumwolle beschreibt, wirkt das auf den Leser ermüdend. Doch wegen dieser Stellen das Buch weglegen, kommt bei einer solchen Lebensgeschichte nicht in Frage. Und sieht man von diesen wenigen langwierigen Passagen ab, ist „Twelve Years a Slave“ ein sehr aufwühlendes Buch. Nicht nur Solomon Northups detaillierte Beschreibungen der Grausamkeiten oder die atmosphärische Schilderung bestimmter Erlebnisse erwecken das Louisiana des 19. Jahrhunderts dabei zum Leben, sondern auch die Entscheidung des Autors, den Südstaatenslang mancher Sklaven nicht in grammatikalisch einwandfreies Englisch umzuformulieren.
Nach der Lektüre von „Twelve Years a Slave“ bleibt der Leser zurück in Fassungslosigkeit über derartige Grausamkeit und darüber, dass Solomon Northups Entführer nie für ihr Verbrechen bestraft wurden. Aber man ist auch überrascht über Solomons teilweise Naivität: Naivität nicht nur, weil er auf dieses viel zu gute Jobangebot hereinfiel, sondern vor allem darüber, dass er auch nach zwölf Jahren als Sklave gelegentlich daran zweifelte, dass die beiden vermeintlichen Zirkusangestellten mit Sklavenhändlern kooperierten und ihm durch den Drink Drogen einflößten, um ihn bewusstlos zu machen und einem schrecklichen Schicksal auszuliefern.
Fazit:
Solomon Northups Memoiren schildern auf detaillierte Weise die Grausamkeit der Sklavenhändler und -halter. Seine Geschichte zeigt den Alltag und die Qualen der Sklaven, die damalige Skrupellosigkeit der meisten Weißen und wie gnädig die Justiz mit jenen umging, die das Gesetz brachen, indem sie in Freiheit lebende Menschen entführten und versklavten. Das macht „Twelve Years a Slave“ zu einem wichtigen Dokument der US-Geschichte und zu einem Buch, das jeder lesen sollte.
Sehr schön geschriebener Artikel :-) hab schon darauf gewartet :-)
Dankeschön :)
Ja,die Veröffentlichung hat gedauert – ich wollte den Artikel schon viel früher schreiben, aber meist kamen dann andere Beiträge dazwischen und ich musste auch noch zwischenzeitlich meine Gedanken zum Buch sammeln. Du kennst das ja selbst.
Ich kann dir die Lektüre auch wirklich nur ans Herz legen. Anfangs hatte ich Schwierigkeiten, mich richtig auf die Geschichte einzulassen, da wie oben erwähnt zunächgst etliche Fakten kommen und zudem auch die Ausdrucksweise dem damaligen Jahrhundert entsprechend ist, was für mich noch recht ungewöhnlich war. Aber je länger man darin liest, desto mehr erwachen die Ereignisse vorm geistigen Auge zum Leben. Also falls du anfangs beim Lesen auch Probleme haben solltest, halte durch – es lohnt sich.
Ja mal schauen, wann ich dazu komme. Recherchiere fleißig und steh in gutem Kontakt zu Sarah Morris und dem Stadtmarketing von Kleve. Hab noch einige andere kontaktiert. Mal schauen, wie das weitergeht, aber ist total spannend :-)
Eins nach dem anderen :) Für „Twelve Years a Slave“ braucht es nämlich auch etwas Zeit. Zwar ist es ein recht dünnes Buch, aber nichts, was man mal schnell nebenbei liest (zumindest hätte ich das nicht gekonnt). Und ich weiß ja selbst wie das ist: Man hat so viele spannende Bücher daheim und es kommen immer neue dazu – am liebsten möchte man alle auf einmal lesen…
Bist du dieses Jahr auf der Buchmesse? Wir gehen nun doch (trotz Master- und Bachelorarbeiten) – und zwar am Freitag. Vielleicht können wir uns ja wieder zwischendurch mal treffen und dann kannst du mir mal in Ruhe von deinen Recherchen erzählen (ich bin doch so neugierig :D ). Ich wünsch dir bis dahin gutes Vorankommen und immer Spaß am Informieren ;)
Ja ich bin dieses Jahr auch wieder auf der Buchmesse. Geh defintiv Sonntag und wenn du/ ihr Freitag geht, dann schau ich mir auch mal das Programm für diesen Tag an :-)
Meld mich, wenn ich näheres weiss :-)
Danke fuer diese Besprechung – ich habe am Wochenende, als ich ein bisschen von den BAFTAs im Fernsehen gesehen habe, noch gedacht, dass ich dieses Buch unbedingt einmal lesen sollte…
Ich muss gestehen, dass ich Preisverleihungen selten sehe und meist nur vorher die Nominierten und nachher die Preisträger recherchiere. Daher musste ich jetzt erst einmal schauen, wie „12 Years a Slave“ bei den BAFTAs abschnitt – und kann sagen: Jeder gewonnene Preis ist verdient :) Hast du den Film schon gesehen?
Das Buch empfehle ich dir. Die alte Ausdrucksweise ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, aber da findet man rein – ansonsten gibt es ja nun auch eine deutsche Ausgabe. Doch egal in welcher Version: „Twelve Years a Slave“ ist es wert, gelesen zu werden. Ich bin gespannt, wie hinterher deine Eindrücke zum Buch ausfallen!
Den Film habe ich leider noch nicht gesehen… ich war gefühlt seit einem guten Jahr nicht mehr im Kino… aber das kann ja nur besser werden!
Das kenn ich nur zu gut! Über den Sommer und Herbst bin ich auch fast nie im Kino und nach einem halben Jahr stellt man (manchmal schockiert) fest, wie lang der letzte Kinobesuch eigentlich her ist. Doch was nützt es ins Kino zu gehen, wenn das derzeitige Programm nicht interessiert oder der Film, den man sehen möchte, in keinem Kino in der Nähe gezeigt wird?!
Und zum Glück gibt es ja DVDs/Blu-Rays – die preislich gesehen sowieso die bessere Lösung sind, um einen Film zu schauen :)
Genau! Dein Blogpost neulich hat mich übrigens daran erinnert, dass ich noch Anna Karenina als DVD zu Hause habe – bislang ungesehen. Mal schauen, wie mir der Film gefällt…!
Freut mich, dass mein Artikel den Film wieder in dein Bewusstsein gerückt hat. Ich bin gespannt, wie du über „Anna Karenina“ denkst – bislang kenn ich nämlich nur die unterschiedlichsten Meinungen aus dem Feuilleton und wäre neugierig auf andere Zuschauermeinungen.
Kein Problem, ich werde gerne eine Rückmeldung schicken! :-)
Danke für den Artikel – mir war gar nicht klar wieviele Passagen das Buch beinhaltet die im Film gar keinen Platz gefunden haben.
An sich ist der Film sehr nahe am Buch – aber aus Zeit- und Dramaturgiegründen wurde natürlich manches weggelassen, zusammengerafft oder abgeändert. Das Buch enthält daher mehr Hintergründe und macht vieles nachvollziehbarer. Ich persönlich war damals beim Film aber schon etwas enttäuscht, dass auf die Weihnachtsfeste nicht eingegangen wurde, da sie einen großen Kontrast darstellen. Auch gab es noch zwei weitere Szenen, die sich noch heute in meinem Kopfkino abspielen und die ich im Film vermisst habe – in einer ging es um die Hunde, eine andere spielte in den Sümpfen (mehr möchte ich aber dazu nicht verraten ;) ).