Eine dreiköpfige Familie fährt bei strömenden Regen durch den Wald. Ziel ist das Krankenhaus, denn die Mutter steht kurz vor der Entbindung einer Tochter. Bedingt durch das Unwetter lässt sich auf der Strecke nur wenig erkennen und es kommt zu einem Unfall. Nach einem Bruch findet sich der Leser Jahrzehnte später an einem sonnigen Tag wieder. Das während der Unfallnacht geborene Mädchen ist inzwischen 20 Jahre alt und lebt mit ihrem Freund in einer Wohnung. Urplötzlich beginnen sintflutartige Regengüsse, die tagelang nicht aufhören. Mit den ersten Regentropfen überfällt das Mädchen jedoch auch eine große Schwermut – sie fühlt sich leer, sucht nach dem Sinn des Lebens und weiß weder mit sich noch mit ihrer Umwelt etwas anzufangen. Stattdessen liegt sie von früh bis spät nur auf dem Fußboden, führt Selbstgespräche, denkt an ihre Mutter, die sie nie kennengelernt hat und hofft auf eine plötzliche, erleuchtende Eingebung. Nachdem ihr Vater ins Koma fällt, fährt sie in sein Haus, um sich um dessen Katze zu kümmern sowie in der Hoffnung, dort die Lösung zu ihrem melancholischen Problem zu finden. Wie aus dem Nichts steht dort eine alte Dame in der Küche, die das Mädchen auf ungewöhnliche Weise aus ihrem Tief holt.
Die Geschichte, die sich Autor Pierre Wazem für die Graphic Novel „Das Ende der Welt“ überlegte, ist einerseits sehr ungewöhnlich, überrascht andererseits aber auch nicht sehr. Zu Beginn gibt es etliche Fragen, beispielsweise bezüglich der Zusammenhänge zwischen dem Regen, dem Mädchen und der alten Frau, die sich erst nach und nach auflösen. Zwischendurch wird es geheimnisvoll und übernatürlich – etwas, das der Autor durchaus noch hätte ausbauen können. Als das Mädchen in eine andere Welt verschwindet, steigt die Spannung und man hat hohe Erwartungen an den Ausgang der Geschichte. Das Ende kommt dann aber recht nüchtern daher, ist des Rätsels Lösung doch etwas, das der Leser bereits schon lange weiß bzw. das er sich während des Lesens selbst zusammenreimt. Als Ursache ist dies verständlich, doch ist es für den endzeitlichen Regen und die Melancholie des Mädchens zu unspektakulär – erst recht nach den übernatürlichen Ereignissen. Als Leser erwartet man mit jeder weiteren Seite ein großes, aufklärendes Geheimnis, ein Ende, welches den Höhepunkt der Geschichte darstellt – das zu Offensichtliche und Simple gibt dem Schluss dann aber einen großen Dämpfer und enttäuscht ein wenig.
„Das Ende der Welt“ zeichnet sich zudem dadurch aus, dass sämtliche Charaktere und Orte namenlos bleiben. Selbst die Wesen, die das Mädchen in der anderen Welt verfolgen, werden von den Figuren nur als „Dinger“ betitel und erhalten keine Bezeichnung. Mit dem Mädchen als eigentliche Protagonistin kann man sich anfangs nur schwer identifizieren, weiß man doch nicht, warum die junge Frau sich so leer und antriebslos fühlt. Eine Heldin im klassischen Sinne ist sie wahrhaftig nicht. Einen stärkeren Bezug stellt man als Leser dagegen zu der alten Frau her, was um so positiver anzumerken ist, wenn bedacht wird, wer die alte Frau eigentlich ist.
Der Zeichner Tom Tirabosco hat Wazems Erzählung grafisch eindrucksvoll umgesetzt. Komplett in Schwarz, Weiß und Blau gehalten, ist das Regenmotiv konsequent in jedem einzelnen Bild auch symbolisch vertreten. Die Illustrationen kommen spannungsgeladen, düster und atmosphärisch dicht daher. Insbesondere die ersten Zeichnungen regen das Kopfkino und man meint, hören zu können, wie der Regen herabprasselt und das Auto durch die Pfützen fährt. Tirabosco scheint zudem großer Winnie-Puuh-Fan zu sein, haben sich der kleine Bär und sein Freund Tigger doch in diverse Bilder hineingeschlichen.
Fazit:
Autor Pierre Wazem und Zeichner Tom Tirabosco entführen in ihrer Graphic Novel „Das Ende der Welt“ in eine kleine Sintflut voller großartiger Bilder. Die Handlung selbst kommt zunächst mit einigen Unklarheiten daher, die der Leser im weiteren Verlauf zusammenfügt, um ihr Highlight in einem Trip in eine andere Welt zu finden – hier hätte sich Wazem gerne noch mehr ausleben und seinen Lesern noch mehr Erlebnisse in diesem Reich schenken können. Dies gilt insbesondere in Anbetracht des unspektakulären Endes, das für den Leser leider keinerlei Überraschung bereit hält und auch keine gänzlich zufriedenstellende Lösung präsentiert.
Geplauder