Eines muss ich gleich vorweg gestehen: Beim normalen Stöbern durch Buchhandlung und Co. wäre ich an „Das Geheimnis des Genter Altars“ womöglich ohne mit der Wimper zu zucken vorbeigegangen. Krimis und Thriller sind nicht gerade Genres, in die ich mich öfters voller Euphorie hineinstürze und in Buchhandlungen ignoriere ich diesen Bereich für gewöhnlich. Auf „Das Geheimnis des Genter Altars“ wurde ich lediglich durch den Namen des Autors neugierig: Klaus-Jürgen Wrede. Die (Viel-)Spieler unter euch werden nun vielleicht wissend nicken, für alle anderen an dieser Stelle ein kurzes Briefing: Klaus-Jürgen Wrede ist der Autor der sehr erfolgreichen Spiele-Serie „Carcassonne“, die unangefochtener Favorit in unserer heimischen Spielesammlung ist. Nicht verwunderlich also, dass ich wissen wollte, ob Klaus-Jürgen Wrede mich mit einem Roman ebenfalls zu fesseln vermag.
Nun, mit der carcassonne’chen Idylle hat „Das Geheimnis des Genter Altars“ als Thriller natürlich nichts gemeinsam. Trotzdem durfte ich mich als Liebhaber des Spiels während der Lektüre über den ein oder anderen Querverweis zu Carcassonne freuen. Gut unterhalten fühlte ich mich außerdem, denn es wird gemordet und gefoltert, gejagt und geflohen; es gibt Action, eine riesige Ladung an historischen Fakten und Mythen, aber auch eine aufkeimende Liebe.
Doch worum geht es in Wredes Romandebüt eigentlich?
Kameramann Daniel findet seinen Nachbarn, Kollegen und Freund Jury tot in dessen durchwühlter Wohnung. Als Daniel später mit der Polizei an den Tatort zurückkehrt, ist Jurys Leiche jedoch verschwunden. Stattdessen trifft Daniel aber kurz darauf auf Mara – Jurys Schwester, die nach einer ominösen Nachricht Jurys aus Amsterdam anreiste. Statt darauf zu warten, dass die Ermittlungen der Polizei Licht ins Dunkel bringen, beginnen Mara und Daniel eigene Nachforschungen. Schnell entdecken sie Dateien und eine Botschaft, die Jury für sie kurz vor seinem Tod hinterlassen hat. Schlauer werden sie daraus jedoch kaum, stattdessen tauchen immer mehr Fragen auf, denn alles deutet darauf hin, dass Jury einem großen Geheimnis auf der Spur war, einem Geheimnis, das mit dem legendären Genter Altar zusammenhängt. Kurzerhand nimmt Daniel ein paar Tage Urlaub und bricht mit Mara nach Belgien auf, in der Hoffnung, dort das Rätsel um Jury und den Altar lösen zu können. Eh sie sich’s vesehen, geraten die beiden ins Visier der Menschen, die es bereits auf Jury abgesehen hatten. Sie werden verwickelt in die Aufklärung eines der größten Kunstraube der Geschichte, eines Falls, der bereits Jurys und Maras Vater das Leben kostete und dessen Objekt – eine Tafel des Genter Altars – ein Geheimnis birgt, zu dessen Aufklärung Mara und Daniel zunächst die Rätsel und Geheimnisse von Kunst- und Bauwerken aus mehreren Jahrhunderten aufdecken müssen.
Für mich als Leserin war die Aufklärung des Geheimnisses des Genter Altars das Element, welches mich beim Lesen am meisten fesselte. Mit jedem Fortschritt, den Mara und Daniel machten, wurde ich neugieriger, was es mit der 1934 gestohlenen Tafel auf sich hat, gleichzeitig schwirrte mir immer mehr der Kopf, weil sich das Rätsel geografisch und kunsthistorisch immer weiter ausdehnte und so manches Mal fragte ich mich, ob ein Geheimnis, das in einem Bild versteckt wurde, in der Realität wirklich auf so komplexe und mysteriöse Weise mit anderen Kunstwerken und Orten verflicht wäre und wie wahrscheinlich es wäre, dass nach so vielen Jahrhunderten – der Altar entstand im 15. Jahrhundert – ein derart verstricktes Rätsel auch nur ansatzweise gelöst werden könnte. Zugegeben, ich bezweifel, dass das möglich wäre, nichtsdestotrotz macht es Spaß, wieder und wieder mit Mara und Daniel zu grübeln, auch wenn ich gestehen muss, dass die beiden mir immer Welten voraus waren. Hin und wieder konnte ich ihren Gedankengängen und Schlussfolgerungen nicht mehr folgen und was Mara und Daniel an Allgemeinwissen vorzuweisen haben, ließ mich erstaunt und, ja, gelegentlich auch ungläubig zurück. Überhaupt entsteht beim Lesen oft der Eindruck, dass unseren beiden Helden – trotz aller lebensbedrohlichen Situationen, die sie durchleben müssen – das Glück oft in die Hände spielt: Ihr Allgemeinwissen und ihre Logikfähigkeiten ergänzen einander perfekt, sodass sie selbst nach kürzester Zeit Passwörter ermitteln und geheime Codes knacken können; sie kennen immer irgendwen, der irgendwen kennt, der ihnen in dem mysteriösen Fall durch technische Ausrüstung, Codierkenntnisse oder Fachwissen weiterhelfen kann; alle wichtigen Leute haben sofort Zeit für Daniel und Mara; überhaupt ist der Alltag eher nebensächlich, Daniel kann von heute auf morgen Urlaub nehmen und bekommt sogar von seinem Chef die Schlüssel für sein zufällig in Belgien liegendes Ferienhaus. Ihr merkt schon: Irgendwie scheint alles allzu zufällig zu sein. Vielleser denken dann natürlich schnell, dass der Autor ein schlechter Geschichtenerzähler ist und würden „Das Geheimnis des Genter Altars“ vielleicht unvollendet beiseite legen. Aber: Tut das nicht und lest weiter! Denn die allzu zufälligen Zufälle entspringen nicht schlechter Schriftstellerei, sondern weben sich – bis auf wenige Ausnahmen – geschickt in das mysteriöse Netz um den Genter Altar ein, denn natürlich ist auch in Klaus-Jürgen Wredes Thriller nicht jeder das, was er vorgibt zu sein.
Dennoch merkt man dem Roman an, dass er ein Debüt ist: Die Dialoge sind oft noch zu hölzern, wirken unnatürlich. Im Laufe des Buches entwickelt sich Wredes Schreibstil jedoch deutlich weiter. Darüber hinaus sind die Passagen, die in der Vergangenheit spielen, überaus gelungen und stecken voller Atmosphäre, sodass ich in diesen Teilen der Geschichte gerne noch länger verweilt hätte.
Insgesamt bietet „Das Geheimnis des Genter Altars“ trotz mancher Imperfektionen eine spannende Geschichte, die vor allem durch die umfangreichen (kunst-)historischen Hintergründe und Informationen überzeugt. Wer gerne knobelt oder Schnitzeljagden mag, ist bei diesem Roman an der richtigen Adresse. Aber auch Actionliebhaber dürften in Anbetracht der diversen Verfolgungsjagden auf ihre Kosten kommen.
Fazit:
Aus rein literarischer Sicht ist das erste Buch aus der Feder des Spieleautors Klaus-Jürgen Wrede zwar durchaus ausbaufähig, doch die Fülle an (kunst-)historischen Informationen und Legenden in Verbindung mit einer actionreichen Handlung machen „Das Geheimnis des Genter Altars“ zu einer unterhaltsamen und informativen Lektüre für alle, die beim Lesen eines Buches auch gerne selber miträtseln.
Klaus-Jürgen Wrede: „Das Geheimnis des Genter Altars“, acabus 2015, ISBN: 978-3-86282-367-3
Für das bereitgestellte Rezensionsexemplar danke ich vorablesen.de und dem acabus Verlag.
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