Anfang des Jahres schickte Vanessa von Packing books from boxes ihr Exemplar von Rebecca Makkais „Ausgeliehen“ auf Reisen. In den vergangenen Monaten reisten seine beiden Protagonisten Ian und Lucy nach Berlin, Stuttgart, Hamburg, Delmenhorst und Oldenburg. Von Ende Juli bis jetzt durfte ich mir die beiden in meine neue Heimat Lippstadt ausleihen und den überaus pflegeleichten Gästen ein gemütliches Plätzchen herrichten.
Bibliothekarin Lucy und ihr treuster, 10-jähriger Kunde Ian brachten wenig Gepäck mit: ein Reisetagebuch, in dem ich neugierig die Eindrücke der vorigen Gastgeber studierte, sowie ein Grüntee-Müsliriegel, den ihre letzte Gastgeberin Katharina als Reiseproviant mitgab. Zwei volle Tage lang erzählten mir die beiden Ausreißer bei strahlendem Sonnenschein und diversen Gläsern Eistee von ihrem Road Trip durch die USA.
Ian schloss ich sehr ins Herz – er ist ein wirklich ungewöhnlicher Junge und ich kann gut verstehen, dass er in Lucy so etwas wie ihren Beschützer- oder Mutterinstinkt weckte. Zu Lucy fand ich hingegen keinen rechten Zugang. Sie blieb mir einfach zu blass und ich hatte das Gefühl, nie zu erfahren, wie es wirklich in ihr aussieht oder was ihre Träume und Motivationen sind. So konnte ich zwar verstehen, dass sie Ian helfen wollte, jedoch absolut nicht nachvollziehen, warum sie sich darauf einließ, ihn beim Ausreißen zu unterstützen und mit ihm quer durchs Land zu fliehen. Gerade bei Ians Problemen bzw. wie seine Eltern mit ihm umgehen, hätte Lucy auch die Polizei einschalten sollen, auch wenn es für ihren Verdacht keine konkreten Beweise gab. Das wäre besser gewesen, als mit Ian durch diverse US-Staaten zu fahren, mit der Angst im Nacken, von der Polizei aufgegriffen und wegen Entführung verhaftet zu werden. Apropos Verhaftung: Lucy erschien mir während des Road Trips ziemlich egoistisch. Zwar behauptete sie ständig, wie besorgt sie um Ian sei und dass sie sich seinetwegen in diese Situation brachte, doch dachte sie immer nur daran, was auf sie zukommt, wenn sie in ihre Kleinstadt zurückkehren oder von der Polizei aufgegriffen werden – nie fragte sie sich, was dann wohl mit Ian passiert, was ihn erwartet. Doch Lucy weckte sowieso permanent in mir den Eindruck, dass sie sich in ihrem Leben die ganze Zeit nur selbst etwas vormacht. So jammerte sie wieder und wieder rum, dass sie nicht mehr ein so wildes Leben führt wie im College und zu einer Klischeebibliothekarin geworden ist, obwohl sie in diese Rolle gar nicht passe, aber ausbrechen aus diesem Klischee, das hat sie dann doch nie probiert. Da schien mir der kleine gewiefte Ian reifer und erwachsener als sie.
Ihr Abenteuer selbst stieß bei mir ebenfalls nur auf teilweise Begeisterung. Wie Lucy von ihrer Zeit in der Bibliothek erzählte und von Ians Leseleidenschaft, ihrem verschwörerischen Bücherschmuggel, weil Ians Mutter nur Kinderbücher erlaubte, die ihrem extrem-konservativen Ansichten entsprachen, das ließ mein Leserherz schneller schlagen und in so mancher von Lucy geschilderten Situation erkannte ich mich selbst wieder. Der Road Trip wurde mir dann aber schnell zu ziellos und alles drehte sich irgendwie im Kreis. Schade fand ich dabei auch, dass von Ians und Lucys Bücherleidenschaft während ihrer Reise nichts mehr zu spüren war. Es gibt so viele Ausreißergeschichten und Lucy und Ian greifen nicht einmal eine Szene aus einer solchen auf, um zum Beispiel einen Witz zu machen? Bücher schienen plötzlich aus Ians Bewusstsein verschwunden zu sein, obwohl er es sonst keinen einzigen Tag ohne Bibliotheksbesuch aushält! Das hat mich doch sehr verwundert – und enttäuscht.
Schön fand ich wiederum Lucys Idee einer Leseliste für Ians Zukunft. Ob er all die Bücher wohl wirklich lesen wird? Ich hoffe es für ihn.
Auch wenn vieles hier recht negativ klingt, so sei gesagt, dass ich hier nur ein paar Facetten von Ians und Lucys Abenteuer anriss und wir drei insgesamt doch recht unterhaltsame Stunden verbrachten. Mehr über Lucys und Ians Aufenthalt hier bei mir in Lippstadt könnt ihr bei Vanessa nachlesen. Dort erfahrt ihr auch, wie es den beiden Ausreißern bei ihren anderen Gastgebern erging.
Falls ihr Ian und Lucy gerne persönlich kennenlernen möchtet, könnt ihr euch übrigens noch bei Vanessa für die Wanderbuchreise anmelden.
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