Der Zeichner Ho Che Anderson begann im Alter von 19 Jahren an der Arbeit zu seinem bislang größten Werk: Der grafischen Biografie Martin Luther Kings. Veröffentlicht in ursprünglich drei Einzelbänden beschäftigte Anderson diese Aufgabe fast eine ganze Dekade lang. 2008, also 15 Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes, brachte der Carlsen Verlag eine deutsche Ausgabe der Graphic Novel auf den Markt.
Die Geschichte des Bürgerrechtlers beginnt im Jahre 1935 – hier sieht man den Sechsjährigen in einem kurzen Gespräch mit seinem Vater. Nach einem Sprung von 17 Jahren zeigt Anderson seinen Lesern Kings erste Rendezvous mit seiner zukünftigen Frau Coretta und die Beweggründe für seine politischen Handlungen. Fortan begleitet der Leser King durch alle Hochs und Tiefs seiner Bewegung bis hin zum Attentat auf den Friedensnobelpreisträger.
Anderson präsentiert seinen Lesern dabei keinen unfehlbaren Anführer, sondern zeigt King mit all seinen Stärken und, Schwächen: der Untreue gegenüber seiner Frau, den Selbstzweifeln, der Aufopferung für seine Bewegung. Weder er noch John F. Kennedy werden in Andersons Biografie als die legendären Helden dargestellt, zu denen sie die Medien heute gerne glorifizieren. Stattdessen vermittelt der Zeichner seinen Lesern die Botschaft: King und seine Bewegung waren wichtig und gut, doch ein Heiliger war der Anführer nicht und sein Kampf um die Freiheit der Schwarzen forderte etliche Opfer. Untermalt wird das Ganze durch gelegentliche Aussagen fiktiver Zeitzeugen. Wie ein roter Faden führen diese durch die Handlung, zeigen Hintergründe auf und vertreten viele verschiedene Meinungen zu King, JFK, Malcom X und der Bürgerrechtsbewegung. Sie verdeutlichen auch, dass Martin Luther King selbst unter den Afroamerikanern nicht nur Freunde hatte – etwas, das in anderen Büchern über diese Zeit gerne verschwiegen bzw. ignoriert wird. Besonders für Nicht-Amerikaner ist die Graphic Novel daher geeignet – ist King doch außerhalb der USA nur eine kleine Nebenthematik im Geschichtsunterricht. Dennoch: Wer keinerlei Vorkenntnisse besitzt, wird mit der Graphic Novel gelegentliche Schwierigkeiten haben. Nicht viele Aspekte werden genauer beleuchtet, nicht immer die Hintergründe dargelegt, vieles lässt bei fehlendem Wissen (zu) viel Raum zur Interpretation; und auch die Handlung selbst ist nicht immer leicht zu verfolgen. Letzteres liegt daran, dass die Graphic Novel zum einen nicht in Kapitel unterteilt ist (trotz der über 200 Seiten) und es zwischen den Bildern oft immense zeitliche und lokale Sprünge gibt. So werden mehrere Dates der Frischverliebten Coretta und Martin dargestellt, allerdings zieht sich über alle eine einzige Unterhaltung – ein Satz, der bei einem Rendezvous beginnt, endet im nächsten Rendezvous. Etwas problematisch ist manchmal auch der Zeichenstil: Dieser ist etwas expressionistisch und an sich klasse, allerdings sind nicht alle Personen immer gut erkennbar oder auseinander zu halten. Dadurch findet man nur schwer einen Zugang zu ihnen oder kann ihre Funktion in der Geschichte nicht immer leicht erkennen.
Nichtsdestotrotz ist Andersons „Martin Luther King“ grafisch gut geworden. Die Biografie ist fast vollständig in schwarz-weiß gezeichnet. Im dritten Teil nehmen farbige Bilder jedoch deutlich zu. Die überwiegende Zweifarbigkeit erschwert zwar gelegentlich das Erkennen des Gezeichneten bzw. macht dieses nicht immer ganz eindeutig, passt jedoch in zweierlei Hinsicht: Zum einen steht es symbolisch für das Schwarz-Weiß-Fernsehen, das zu Kings Zeiten vorherrschend war, zum anderen kann es als Metapher für die schwarze und weiße US-Bevölkerung angesehen werden.
Anderson konzentriert sich beim Zeichnen auf das Wesentliche und vermeidet Details meist. Gelegentlich wählt er für Comics eher unübliche Perspektiven und Bildausschnitte. So ist zu Beginn in mehreren Einzelbildern dargestellt, wie King sein Hemd zuknöpft und sich eine Kette umhängt – der Fokus liegt hier nie auf King selbst, sondern auf den Details seiner Kleidung. Das verleiht der Geschichte einen sehr filmischen Stil. Zudem finden auch nachbearbeitete Fotos Einsatz in der Graphic Novel, die wie eine Art historischer Beweis fungieren und den Leser noch mehr in das Geschehen hinein holen. Schlecht umgesetzt ist jedoch an – glücklicherweise – wenigen Stellen die Farbgebung des Textes: Auf einem farbigen Bild steht der Text bspw. einmal in Orange oder Gelb und ist dadurch schwer lesbar. Wobei sich hier die Frage stellt, ob dies im englischen Original auch der Fall ist oder auf die Bearbeitung der deutschen Ausgabe zurückzuführen ist.
Fazit:
Der Zeichner Ho Che Anderson hat eine Menge historischen Stoff in seine grafische Biografie „Martin Luther King“ gepackt und diesen mit expressionistischem Stil veranschaulicht. Anderson ist dabei eine gute Umsetzung von Kings Leben gelungen, die dem Leser King als Menschen mit allen guten und schlechten Eigenschaften nahe bringt. Wer mit dem US-Bürgerrechtler und seiner Bewegung nicht oder nur wenig vertraut ist, wird allerdings inhaltlich hin und wieder Schwierigkeiten haben. Nichtsdestotrotz ist die Graphic Novel für alle – ungeachtet ihrer Vorkenntnisse – empfehlenswert, die sich näher mit Martin Luther King beschäftigen wollen.
Geplauder