Der fünfte und damit letzte Teil von Stephen Kings Horrorklassiker ließ mich ein unzufrieden zurück, sodass meine Begeisterung aus den ersten vier Teilen um einiges gedämpft wurde. Der fünfte Teil war nicht schlecht, nein, aber nach allem, was wir während der ersten vier Teile erleben und beobachten konnten, hatte ich mir von dem großen Showdown (bzw. den zwei großen Showdowns) doch mehr versprochen. Das Ende, die großen Kämpfe schienen mir, verglichen mit früheren Begegnungen mit ES, fast zu unspektakulär. Hinzu kommt eine Szene in 1958, die extrem problematisch ist und die ich Herrn King – so sehr ich ihn sonst auch schätze – einfach nicht verzeihen kann. Was mich konkret am fünften Teil enttäuschte, aber auch das, was ich an dem Ende des Mammutromans liebte, verrate ich euch im Text unter dem aufklappbaren Reiter. Da hier erhebliche Spoiler vorkommen, solltet ihr diese Anmerkungen zum fünften Teil nur lesen, wenn ihr bereits mit dem Buch oder einer der Verfilmungen vertraut seid.

Enttäuschung und Wehmut [Achtung: SPOILER!]

Nachdem sich die Spirale aus Angst und Brutalität in den Teilen 1 bis 4 immer mehr zuspitzte, King immer noch einen drauf setzte, um mich aufs Neue zu schockieren, blieb mir Teil 5 irgendwie zu einfach und weniger dramatisch. ES lässt den Loser’s Club ungehindert, ohne irgendwelche Fallstricke, in sein Reich spazieren. Natürlich wägt ES sich in Sicherheit, schließlich habe etwas scheinbar Unsterbliches und Übermächtiges nichts von ein paar Kindern und erst Recht nicht von ein paar Erwachsenen zu befürchten. Warum also Energie verschenken, wenn das Futter buchstäblich einfach so ins Haus gekrochen kommt? Dennoch passte das für mich nicht zu dem ES, wie ich ES in den vorangehenden Teilen kennenlernte – der Moment, in dem die Kids im Haus in der Neibolt Street auf ES treffen, barg für mich beispielsweise mehr Spannung und Bedrohung als die Showdowns in der Kanalisation. Das Spielen mit den Opfern, das Angsteinflößen, die Tricks – das habe ich auf dem Weg des Loser’s Club zu ES‘ Hort vermisst. Die aktuelle Verfilmung des Romans hat dies daher in meinen Augen besser umgesetzt, indem ES immer wieder versucht, die Kids innerhalb der Kanalisation voneinander zu trennen und so die Stärke der Gruppe zu schwächen. Im Buch hatten mir unsere Helden daher einen fast zu leichten Weg zu ES. Tatsächlich schien mir der den Kids folgende Henry Bowers hier als die größere Bedrohung und ich hatte vor einer Begegnung mit diesem wahnsinnig gewordenen Teen plötzlich mehr Angst als vor ES. Beim großen Finale in den ‘80ern ging es dann sogar fast noch leichter zu, nachdem Henry Bowers es dieses Mal gar nicht erst so weit schaffte. Auch das Potenzial, dass die Gefahr durch Beverlys Ehemann darstellte, hat Stephen King meines Erachtens vergeudet. Hier hatte ich mir – ähnlich wie 1958 mit Henry Bowers – noch einen bedeutenden Gegner für den Loser’s Club gewünscht, schließlich wurde während des Romans immer stärker auf eine Konfrontation des Loser’s Clubs mit Tom Rogan hingesteuert.

Was mich am fünften Teil aber am meisten störte, war die Gruppensexszene zwischen der elfjährigen Beverly mit allen sechs Jungs. Ich verstehe die Symbolik, die diese Szene für die Geschichte haben sollte, aber man hätte diese Botschaften auch in anderer Form vermitteln können. Für mich als Leserin ist diese Szene einfach nur auf so vielen, unterschiedlichen Ebenen falsch: Angefangen damit, dass sie für mich erzwungen, aus dem Raum gegriffen und unpassend zur Handlung erschien, ist sie moralisch mehr als nur fragwürdig. Die Kids wussten nicht einmal was Sex konkret ist, Beverly musste kurz zuvor vor ihrem Vater die Hosen runterlassen und sich einem vermeintlichen Test auf Jungfräulichkeit unterziehen – und da soll sie plötzlich auf die Idee kommen, dass Sex ein perfektes Mittel ist, um die Gruppenmitglieder wieder miteinander zu verbinden? Das ist so abwegig, dass ich nicht wusste, ob ich über eine derart schlechte Idee lachen oder weinen sollte. Und welche Botschaft vermittelt so ein Ereignis? Ja, wir sind erwachsene Leser, aber wie sollte Beverly oder ein anderes Mädchen aus so einem Erlebnis ohne psychische Folgen herausgehen? Da ist es für mich auch weder eine Entschuldigung noch eine Art Trost, dass der Loser’s Club nach jedem Sieg über ES alles vergisst, was in Derry passierte. Unabhängig davon stilisiert King hier Sex als Mittel zum Zweck, er lässt die elfjährige Beverly ein Gefühl von Macht spüren und vermittelt so ein Bild von Sex, dass alles andere als richtig oder harmlos ist. Nein, ich kann Stephen King diese Szene nie verzeihen und ja, ich bin sogar wütend darüber – wütend über eine so geschmacklose Szene und wütend darüber, dass mir einer meiner Lieblingsschriftsteller ein bis dahin grandioses Leseerlebnis so verdorben hat.

Kings wirkliche Stärke zeigte sich für mich im fünften Teil erst auf den letzten Seiten, als es um das Zwischenmenschliche und das Erinnern ging. Bill noch einmal auf Silver zu erleben, zusammen mit seiner Frau, war zum Abschluss der Geschichte ein gelungenes, positives, hoffnungsvolles Bild. Für mich hätte dies der ideale Abschluss sein können. Aber natürlich musste Stephen King uns noch einmal daran erinnern, dass all das Erlebte bald Vergessen ist. Wie damals in den ‘50ern werden sich auch dieses Mal unsere Helden nicht mehr an die Zeit in Derry erinnern, sie werden sogar einander vergessen – selbst Mike, der durch seinen Verbleib in Derry einst vom Vergessen verschont blieb, verliert nun die Erinnerung; selbst seine Notizen verschwinden ins Nichts. Derry wird zum weißen Fleck auf der Landkarte und es scheint, als hätte es den Loser’s Club nie gegeben. Für mich war das ein authentischer, wenn auch sehr trauriger Abschied von den Freunden – ich hätte mir für sie gewünscht, dass ihre besondere Freundschaft diesen Fluch zu besiegen vermag. Doch wir sind hier nicht bei Disney und so bleibt es an uns Lesern, Bill, Ben, Beverly, Eddie, Richie, Mike und Stan nicht zu vergessen.

Fazit:

Mit „IT“ hat Stephen King ein Werk geschaffen, das zu Recht als Klassiker gilt und das mich noch sehr lange beschäftigen wird. Diese permanente, unterschwellige Bedrohung durch ES, die Grausamkeit, welche auch die Menschen an den Tag legen – all dies ließ mich immer wieder heftig schlucken. Die Personifizierung der jeweiligen Ängste durch ES statt einer einzigen, bösen Form ist so einfach wie genial und sorgt dafür, dass man wie einst in der eigenen Kindheit ahnt, dass hinter jeder Ecke etwas Böses stecken kann und dass man selbst zu Hause nicht sicher ist. Angst und Bosheit haben viele Gesichter – genau das macht sie auch so unberechenbar und gefährlich.

Neben all diesem Horror ist der Roman aber auch eine wunderbare Zeitreise in die ‘50er und ‘80er, eine Hommage an die Stärke und den Zauber der Kindheit, an die Macht der Fantasie und an die Freundschaft. Lange schien „IT“ daher auf den Thron meines Lieblings-Kings zuzusteuern – leider hat es der Roman aber aufgrund einer No-Go-Szene im letzten Teil nicht auf diese Position geschafft. Dennoch bleibt „IT“ für mich ein einmaliges Leseerlebnis und eines der außergewöhnlichsten, besten Bücher, die ich bislang lesen durfte.

 

PS:

Was mich während des Lesens außerdem wurmte, war der Fehler, dass Eddie je nach Zeitebene mal einen linken und mal einen rechten gebrochenen Arm hat:

„[…] when the pain suddenly races up his left arm. […] Five years ago, during a routine check-up […] the doctor said matter-of-factly: ‘There’s an old break here, Ed […]’” (S. 921, Jahr 1985)

„He grabbed Eddie by […] his right wrist. […] He jerked Eddie’s wrist halfway up his back. […] Henry shoved Eddie’s wrist up harder this time than before, Eddie heard a crack in his arm […]“ (S. 945 f., Jahr 1958)

“He was aware that his right arm felt very heavy. He wondered if they had put it in a cast yet.” (S. 953, Jahr 1958)

„[…] he might never be able to use his good right arm again […]“ (S. 957, Jahr 1958)

“His left arm twisted behind him somehow and he fell on it heavily. The pain was a sudden sickening flare. He felt the bone go along the fault-line of that old break […]“ (S. 1171, Jahr 1985)

Zwischenzeitlich hielt ich dies für einen Fehler meiner Ausgabe, entdeckte die Unstimmigkeit dann aber via Google Books u.a. auch in einer Ausgabe von Simon & Schuster. In der (aktuellen) deutschen Ausgabe vom Heyne Verlag scheint man diesen Fehler jedoch korrigiert zu haben (soweit ich es Google Books entnehmen konnte, hat man sich hier immer auf den rechten Arm geeinigt). Ich hoffe, die englischsprachigen Verlage ziehen nach. Mag sein, dass das Jammern auf hohem Niveau ist, aber mich hat diese Unstimmigkeit während der Lektüre ständig aufs Neue beschäftigt und geärgert – 30 Jahre nach Ersterscheinung hätte man doch eine korrigierte Ausgabe erwarten können …


Stephen King: „IT“, Hodder and Stoughton 2011, ISBN: 978-1-4447-0786-1

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© Andrea Schmidt/ Leseblick