Robert Edwin Peary behauptete von sich selbst, im Jahr 1909 als erster Mensch den Nordpol erreicht zu haben. Tatsächlich traf sein Assistent Matthew Henson jedoch circa 45 Minuten vor Peary am Nordpol ein, nachdem er und Peary die letzten Kilometer in zwei getrennten Teams bestritten. Doch während Peary in aller Welt als erster Mann am Nordpol gefeiert wurde und diverse Auszeichnungen erhielt, wurde Henson nie die Ehre zuteil, die er verdiente, denn Henson war schwarz und Peary weigerte sich generell, seinen Erfolg mit irgendjemandem zu teilen. Dabei wäre Peary ohne Henson wohl nie lebend am Nordpol eingetroffen, denn bereits 1895 rettete Henson Peary das Leben und im Gegensatz zu Peary und den anderen Teilnehmern der verschiedenen Polarexpeditionen lernte Henson die Sprache der Inuit und schaute sich ihre Überlebenstaktiken ab. Er gewann ihr Vertrauen und hielt als Mahri Pahluk („der gütige Matthew“) sogar in ihre Sagenwelt Einzug.

In seiner Graphic Novel „Packeis“ widmet sich Simon Schwartz daher dem wirklichen ersten Mann am Nordpol und lässt Henson auf diese Weise die Ehre zukommen, die ihm außerhalb der Welt der Inuit verwehrt blieb. Festgehalten in den zur Geschichte passenden kalten Farben Blau, Grau, Weiß und Schwarz entfaltet sich Hensons Leben in detailreichen Panels, die durch regelrecht cineastische Bildausschnitte und Perspektiven gekonnt in Szene gesetzt werden.

„Packeis“ entpuppt sich aber nicht nur als optischer Genuss, sondern auch als unglaubliche facettenreiche Geschichte. Zum einen deckt Schwartz eine Themenpalette ab, die von historischen Stoffen bis hin zu Missgunst und Rassismus reicht. Zum anderen erzählt er Matt Hensons Geschichte auf drei Ebenen: Auf der ersten Ebene begleiten wir Matt Henson als alten Mann, der gerade in Pension geht; auf der zweiten Ebene reisen wir in seine Vergangenheit – wir sehen, wie er als Kind auf einem Schiff anheuert, wie es ihn zu Peary verschlägt, wie er schließlich nach vielen Jahren und mehreren Expeditionen den Nordpol erreicht und wie seine Leistung gänzlich ignoriert wird. Die dritte Ebene schließlich stellt die Sagenwelt der Inuit dar, die zugleich in einem eigenen Zeichenstil dargestellt ist. Die drei Ebenen werden dabei nicht getrennt voneinander betrachtet, sondern sind clever miteinander verflochten: Alle Themen und Ereignisse, ja, selbst kleinste Elemente aus Vergangenheit und Gegenwart, aus realer Welt und Sagenwelt referenzieren sich stets aufeinander, werden im Verlauf der Handlung mehrfach aufgegriffen und fließen zuweilen gar ineinander über, sodass sich durch das ganze Buch gleich mehrere rote Fäden ziehen. Storytelling at its best!

Fazit:

Grafisches Erzählen auf höchstem Niveau! Ein absolutes Must-Read!